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Das Herz der Puppe

Das Herz der Puppe

Titel: Das Herz der Puppe
Autoren: Carl Hanser Verlag
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und ihre Liebe vergessen.«
    »Ich werde dich immer lieb haben.«
    »Warten wir’s ab«, antwortete die Puppe ein wenig spitz.
    »Ich dich auch«, sagte die Mutter und drückte zärtlich Ninas Hand.
    Da wunderte sich Nina erst, aber dann verstand sie, dass die Mutter nur sie hören konnte. Die Puppe hörten die Erwachsenen offenbar nicht. Das war merkwürdig, aber Nina sagte nichts.
     
    Die Eltern kauften noch eine alte Wanduhr, dann fuhren sie mit Nina nach Hause.
    Als Erstes ging Nina mit der Puppe dort von Zimmer zu Zimmer und erklärte ihr, was sich wo befand. Die Puppe hörte aufmerksam zu. Schließlich kamen sie zu der Tür, auf der in bunten Buchstaben Ninas Name stand.
    »Und hier wohne ich«, sagte Nina stolz.
    »Das weiß ich doch. Es steht ja an der Tür«, erwiderte die Puppe.
    So erfuhr Nina, dass die Puppe auch lesen konnte.
    Kurz darauf gab es auf der Straße einen lauten Knall. Nina bekam einen ordentlichen Schreck, dann hörte sie ihre Mutter sagen, unten auf der Straße sei ein Auto gegen einen Laternenpfahl gefahren. Sie ermahnte Nina, in ihrem Zimmer zu bleiben, und lief mit ihrem Mann hinunter auf die Straße.
    »Wenn du Angst hast, drück mich einfach ganz fest. Dann sauge ich dir die Angst aus dem Herzen«, sagte die Puppe, und ihre Stimme klang dabei warm und weich. Als Nina sie fest an sich drückte, lächelte sie geheimnisvoll.
    »Und? Wie fühlst du dich jetzt?«, fragte sie und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als hätte sie gerade Eis geschleckt.
    »Ich habe keine Angst mehr. Aber wie hast du das gemacht?«, fragte Nina, die den schrecklichen Knall schon fast vergessen hatte.
    Die Puppe lächelte wieder geheimnisvoll, dann hielt sie eine kleine Rede, und Nina hörte zu.
    »Wir Puppen kommen aus ganz unterschiedlichen Familien«, erklärte sie. »Es gibt Puppen, die bringen dich allein durch ihren Anblick zum gähnen. Wir nennen sie ›Schlafbringer‹. Andere Puppen ermuntern zum Reden. Die nennen wir ›Zungenkitzler‹. Es gibt sogar Puppen, die bringen die Menschen dazu, zu waschen und zu bügeln. Wir nennen sie ›Glattmacher‹. Auch ›Aufräumer‹ sind eine sehr seltsame Puppenart. Wirf eine solche Puppe in einen Haufen Müll, und du kannst sicher sein, dass du in einer Woche den ganzen Krempel fein säuberlich in Säcke gepackt findest – und obenauf thront die Puppe höchstpersönlich.
    Dann gibt es bei den Puppen die große Familie der ›Sauger‹. Einige saugen ihren gastgebern die Zeit fort, andere die Aufmerksamkeit und wieder andere die Trauer oder Langeweile. Ich selbst gehöre zu den ›Angstsaugern‹, und leider haben wir auch Verwandte, die unserem Ruf schaden. Das sind die ›Verschlinger‹. gott schütze dich vor denen. Sobald sie in eine Wohnung kommen, verschwinden nach und nach Dinge, die dort seit Jahr und Tag ihren festen Platz haben. Es fängt ganz harmlos an, doch wenn man nicht aufpasst, räumen einem diese Biester die ganze Wohnung leer.
     
     
     
    Wie gesagt, ich sauge gerne Angst fort, davon ernähre ich mich, und glaub mir: Ich habe einen Bärenhunger. Weißt du, wie lange ich schon auf irgendwelchen Dachböden in Kistenherumliege und mich von der mickrigen Angst von Mäusen, Mücken und Fliegen ernähre? Eine halbe Ewigkeit!«
    Nina lachte. »Dann sei nur froh, dass du bei mir und nicht bei Julian gelandet bist. Bei Julian würdest du verhungern, der hat überhaupt nie Angst.«
    »Sei da mal nicht so sicher. Vielleicht hat der Junge nur Angst, seine Angst zuzugeben. Das kommt bei Jungs oft vor.«
    »Keine Ahnung«, sagte Nina, die darüber noch nie gedacht hatte. »Bei mir wirst du bestimmt satt. Ich habe oft Angst, vor allem nachts, wenn ich von Monstern und Bären träume, die unter meinem Bett liegen. Manchmal wache ich davon erschrocken auf.«
    »Oh, lecker! Immer her damit!«
    »Gibt’s eigentlich auch Puppen, die gern Lachen essen?«, fragte Nina. »Ich lache nämlich auch sehr viel«, fügte sie schnell hinzu.
    »Nein, die gibt es nicht. Von deinem Lachen ernährt sich nämlich dein Schutzengel. Immer wenn er schlapp ist, wartet er sehnsüchtig auf ein Lachen, damit er wieder Kraft tanken kann. Dein Lachen ist sozusagen sein Benzin«, antwortete die Puppe.
    Nina lachte bei der Vorstellung, dass ein Engel zu ihr käme, als wäre sie eine Tankstelle. Und sie fühlte sich glücklich. Zum ersten Mal in ihrem Leben hörte sie, dass sie mit ihrem Lachen jemandem half.
    Genau da hörte sie ihre Mutter rufen. Sie legte die Puppe aufs
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