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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Keller des Lagers erschöpft gegen die Wand fielen und erst verschnauften, ehe sie an den Inhalt der Bomben dachten. Dann stemmten sie die Verschlüsse auf und schütteten den Inhalt auf den Kellerboden.
    In einer der Verpflegungsbomben war Naßbrot und Kaffeemehl, Grieß und Milchpulver. Aus der nächsten rollten Büchsen mit Rindfleisch und Saftschinken, Marmelade und Butter. Die dritte Bombe aber enthielt einen dicht versiegelten Karton mit dem schriftlichen Befehl: Abzuliefern beim Kommandeur zur Weitergabe an das Armee-Hauptquartier der 6. Armee.
    »Det wird 'ne schöne Scheiße sein!« sagte Knösel. Er schlitzte mit seinem Seitengewehr respektlos den Karton auf und starrte auf den Inhalt.
    Vor ihm lagen einige hundert Eiserne Kreuze I. und II. Klasse, Nahkampfspangen und Deutsche Kreuze in Silber und Gold. Auch Kaljonin starrte verblüfft auf den Segen militärischer Auszeichnungen, der vom Himmel gefallen war.
    »Orden!« sagte er und grinste plötzlich.
    Knösel antwortete nicht. Sein Gesicht war rot geworden. Und plötzlich wurde der gute, ruhige Knösel wild, er griff mit beiden Händen in die Eisernen Kreuze, schaufelte sie aus dem Karton und warf sie gegen die Kellerwand.
    »Hunde!« brüllte er. »Schufte! Scheißkerle! O ihr Schweine …!«
    Und er griff wieder in den Karton und warf die Orden an die Kellerwand … das Blech schepperte über den Boden, der Lack spritzte ab, die Nahkampfabzeichen zersprangen. Seine ganze verzweifelte Wut legte Knösel in diese Würfe, er schrie dabei, daß Kaljonin sich still in eine Ecke des Kellers verzog und ruhig blieb, bis der Karton geleert war und der Ordenssegen für eine Armee verstreut auf dem Boden lag. Ein Teppich aus Eisernen Kreuzen, über den Knösel hinwegstampfte zum Ausgang.
    Am Morgen waren sie dann beschäftigt, die Büchsen aus den beiden Verpflegungsbomben und das gerettete Pferdefleisch in winzige Portionen aufzuteilen. Sie saßen in einem Nebenkeller und zählten ab.
    Ein Löffel Grieß … eine dünne Scheibe Brot … ein Löffel Milchpulver … zwei Löffel Rindfleisch … ein Stück Pferdefleisch, so groß wie ein kleiner Finger.
    Vera Kaljonina saß bei ihnen … sie half, die Portionen zu ordnen. Wenn hundert fertig waren und auf dem Kellerboden lagen, kamen die Essenträger mit Munitionskistendeckeln und schoben die Portionen für ihre Kameraden im Lazarettkeller darauf.
    Kaljonin unterbrach das Herumschneiden an seiner Pferdekeule und hob den Kopf.
    Über ihnen war es ganz still. Der Morgen war gekommen, und mit der Sonne begann sonst auch die Artillerie zu schießen, oder die Panzer kämmten die Straßen durch. Aber jetzt schwieg alles … es war, als lebten sie in einer völlig leeren Stadt.
    »Ganz still …«, sagte Kaljonin und stieß Knösel an. »Hörst du …?«
    »Ja.« Knösel zählte Erbsen ab. Pro Mann sechs Stück.
    »… vier … fünf … sechs … Ooch deine Genossen müssen ja mal Pause machen …«
    »Gucken!«
    »Wat?« Knösel legte den kleinen Erbsensack weg. »Wat willste?«
    »Gucken.«
    »Mensch, sei froh, det se ruhig sind.«
    »Nix Panzer, nix Kanone, gar nix …«
    »Jloob nich, det jetzt 'ne Winterfrische beginnt …«
    »Komm mit …«
    Kaljonin hielt es nicht mehr im Keller. Ein Instinkt trieb ihn hinaus in den diesigen, trüben Morgen. Er konnte nicht erklären, woher seine Unruhe kam … sie war einfach da und stak kribbelnd in seinen Beinen.
    Zusammen mit Knösel und Vera stieg er hinauf in die Trümmer und sprang auf, warf die Arme weit zurück und brüllte. Auf dem Gebäude des Verteidigunskomitees der Partei, dem großen Häuserblock am Roten Platz, schräg gegenüber dem Kaufhaus Univermag, in dessen Kellern Generalfeldmarschall Paulus und sein Stab saßen, wehte weithin sichtbar eine große rote Fahne.
    Parteisekretär Genosse Iwan Grodnidsche, der seit seinem Desaster mit dem Hühnerfuttermehl sehr still geworden war, hatte sie eigenhändig aufgezogen, umbraust vom Jubel seiner Freunde und der Zivilisten, die rundherum aus den Kellern krochen und in den frühen Morgen blinzelten.
    Stalingrad gehörte wieder ganz zu Mütterchen Rußland.
    Kaljonin zeigte mit beiden Armen auf die wehende Fahne.
    »Krieg kaputt!« brüllte er. »Briederchen … Krieg kaputt …«
    Er umarmte seine Frau Vera und küßte sie, er umarmte den starren Knösel und drückte ihn an sich, er tanzte auf den Trümmern, lachte und weinte in einem Atemzug und benahm sich gar nicht so, wie sich ein Mladschij-Sergeant der Roten Armee
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