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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eigentlich benehmen mußte. Dann riß er Knösel die Maschinenpistole von der Brust, warf sie hoch in die kalte Luft, fing sie auf, lud durch und feuerte übermütig in den Himmel. Die letzten vierundzwanzig Schuß waren es … Knösel hatte sie gezählt … er hatte Buch geführt über jede Patrone. Noch vierundzwanzig waren geblieben … und nun jagte Iwan Iwanowitsch Kaljonin sie mit einem Freudentanz in den Morgen.
    Gegenüber, in einer Hausruine, tauchte eine Gruppe Rotarmisten auf. Kaljonin schwenkte die Waffe Knösels … »Sieg!« schrie er. »Freunde! Sieg!« Er sprang über die Trümmer auf seine Kameraden zu, das Gesicht wie verklärt vor Freude, und dabei schoß er noch einmal in die Luft, ein kleines privates Feuerwerk zur Stunde des Triumphes.
    Mit ungläubigen Kinderaugen blieb er stehen, als aus der Gruppe der Rotarmisten eine einzelne Maschinenpistole aufbellte. Als die Kugeln in seinen Leib fuhren, wurde ihm klar, daß er ja eine deutsche Uniform trug und daß es das Recht des Rotarmisten war, auf einen deutschen Soldaten zu zielen, der schießend auf sie losstürmte.
    »Genossen …«, stammelte Kaljonin und sank in die Knie. Er hielt sich den Magen fest, preßte seine Fäuste dagegen, denn seine Därme brannten und sein Magen war eine glühende Hölle geworden. »Genossen … was tut ihr denn …? Brüder … ein Irrtum … ein Irrtum ist's … Genossen …«
    »Wanja!« schrie Vera Kaljonina auf. Sie stieß Knösel weg, der sie zurückhalten wollte, und rannte zu dem zusammensinkenden Kaljonin. Auch die Rotarmisten merkten, daß etwas Tragisches geschehen war … sie kamen langsam näher, mit vorgestreckten Karabinern, nach allen Seiten sichernd, Knösel, der Vera nachlief, mißtrauisch anstarrend. Es waren kleine Kalmücken, Reiter aus den Steppen, mit gelben Gesichtern und winzigen, schrägen Augen.
    Vera kniete bei Kaljonin und legte seinen Kopf in ihren Schoß.
    »Ihr Hunde!« schrie sie, als die Rotarmisten sie umringten. »Ihr räudigen Schweine! Ihr habt ihn erschossen … er stirbt … mein Wanja stirbt …«
    Sie umklammerte ihn, küßte ihn in wilder Verzweiflung und weinte laut.
    Ein junger Feldwebel nahm seine Fellmütze ab und drehte sie zwischen den Händen.
    »Verzeiht, Genossin …«, stammelte er. »Aber er hatte eine deutsche Uniform … und er schoß … wie können wir wissen, wer er ist … Es trifft uns keine Schuld …«
    Kaljonin schlug noch einmal die Augen auf. Er sah Vera über sich gebeugt, er sah Knösel fahlbleich, wie in Milch getaucht, er sah die kleinen Kalmücken und dachte an die rote Fahne auf dem Parteihaus.
    »Sieg, Genossen!« sagte er stockend. Dabei blutete er aus dem Mund … das Blut lief über sein Kinn und über Veras Hände, die seinen Kopf hielten. »Er ist mein Freund …« Er sah Knösel an. »Ein guter Freund, Brüder …« In seinen Därmen rissen tausend Teufel. Er bäumte sich auf und stöhnte. »Das hättet ihr nicht tun dürfen, Genossen … das nicht …«
    Sein Kopf fiel nach hinten, gegen die Brust von Veraschka, er lächelte, als er sie spürte, das Feuer in ihm ergriff ihn völlig, aber es war eine merkwürdige Hitze.
    »Wanja …«, stammelte Vera. »Mein Wanja …«
    Dann war der Mladschij-Sergeant Iwan Iwanowitsch Kaljonin gestorben.
    Er war der letzte Tote in Stalingrad-Mitte, der durch einen Schuß fiel.
    Während vor dem Kaufhaus Univermag ein Wagen vorfuhr, um Generalfeldmarschall Paulus zu einem Frühstück bei Generalleutnant Rokossowskij abzuholen, kamen die lebenden Leichname aus den Kellern und hoben die Hände hoch in den kalten Wintermorgen.
    Ein junger Hauptmann der Gardedivision stieg hinab in den Kinokeller. Chefchirurg Dr. Sukow kam ihm entgegen. Er stellte Assistenzarzt Dr. Körner vor als Herr über 3.500 Sterbende.
    »Wir werden alles tun, Genosse Major«, sagte der Hauptmann zu Dr. Sukow. »Alles, was wir können.«
    »Und wieviel ist das?« fragte Sukow zurück.
    Der Hauptmann sah den Arzt lange an, ehe er antwortete.
    »Das wissen Sie doch selbst am besten, Genosse Major.«
    Dr. Sukow wandte sich ab und ging wortlos zurück in das Kellerlabyrinth mit den aufgeblähten, fiebernden, eiternden, verfaulenden Leibern.
    Der erste, der den Keller verließ, war der ›Held der Nation‹ Oberst Sabotkin. Gestützt auf zwei Leutnante schwankte er ans Tageslicht. Auf der Straße wartete ein Krankenwagen auf ihn … er hatte gar keine Zeit, sich von Dr. Körner zu verabschieden. In rasender Fahrt brachte man ihn zum
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