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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee
Autoren: Heinz G. Konsalik
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aber auch das große schwarze Kreuz vom Grabe Dr. Portners geschossen. Zwei sowjetische Panzer veranstalteten darauf ein Scheibenschießen.
    »Sehen sie denn die Fahne nicht?!« schrie die Pannarewskaja. »Auf ein Kreuz zu schießen … sind wir denn Unmenschen?!«
    Dr. Sukow hob die Schultern. »Ein Kreuz? Genossin Olga … was wissen unsere Jungs von einem Kreuz? Und eine Fahne? Sehen Sie doch hinaus … es hängt nur noch ein grüner Fetzen an der Stange. Unmenschen …?« Dr. Sukow schwieg einen Moment. Dann nickte er. »Ja, Unmenschen sind wir, Genossin … wir alle … Wären wir normale Menschen … wie könnten wir das alles aushalten …?«
    Es gab keine Front mehr, keine Linie, keine Stellungen. Im Norden, in der Mitte und im Süden wurden die deutschen Soldaten wie wilde Hasen gejagt. Panzer fuhren durch die Straßen, sowjetische Stoßtrupps kämmten die Keller durch … hier wurde geschossen, dort wurde sich ergeben … in einigen Kellern trank man die letzte Schnapsration aus und erschoß sich selbst mit der letzten Patrone. In den gewaltigen Ruinenwüsten der Industriewerke im Norden wurde noch um jeden Meter gerungen. Warum, das fragte man nicht. Der alte Gedanke, seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen, herrschte vor. Daß es möglich war, nicht zu schießen und zu überleben, daran dachten sie nicht. Sie starben … das Geheimnis des Heldentums wurde vollkommen an ihnen, ebenso wie das Geheimnis, Sinnlosigkeit nicht zu erkennen, wenn man eine Uniform trägt.
    30. Januar 1943.
    Im Keller unter dem Kino wimmerten und stöhnten über 3.000 Verwundete. Neue Verwundete kamen kaum noch … die Soldaten, die getroffen wurden, sanken in ihren Löchern um oder rutschten an ihre Kellerwände. Sie hatten nicht die Kraft, durch Ruinen bis zum Verbandsplatz zu kriechen.
    Die Verbindungen zu den einzelnen Truppenteilen wurden plötzlich unterbrochen, soweit sie noch vorhanden waren. Immer wieder war es der gleiche Wortlaut, der von der kleinen Funkstation des Armee-Oberkommandos oder im Telefonraum aufgenommen wurde:
    »Russe steht vor der Tür. Kein Schuß mehr zur Verteidigung. Wir übergeben. Grüßt die Heimat. Es lebe Deutschland …«
    Und dann Schweigen.
    Im Nordkessel dröhnten die Stalinorgeln … dort gab es noch das, was man den Tod mit blanker Waffe nennt. In der Stadtmitte, um den Roten Platz herum, war der Widerstand wie das heisere Bellen eines zu Tode gehetzten Hundes … die sowjetischen Stoßtrupps säuberten die Trümmer, holten die schwankenden, verhungernden, zum Teil auf Händen und Knien kriechenden, zerlumpten und blaugefrorenen deutschen Soldaten aus den Bunkern und Kellern und sammelten sie auf den Straßen und führten die grauen Gespenster zu den Plätzen, in Höfe oder Hallen, wo sie sich niederhockten, umfielen oder stumpf vor sich hinstierten.
    Eine Armee der toten Seelen.
    Dr. Körner saß am Abend des 30. Januar auf seinem Strohbett und hielt die Hände Olga Pannarewskajas fest.
    »Morgen oder übermorgen wird es vorbei sein …«, sagte sie leise.
    »Und dann, Olga?« Er blickte sie nicht an. Er wunderte sich über sich selbst, daß er überhaupt noch sprechen konnte, daß aus diesem leeren Hohlkörper eine Stimme herausquoll.
    »Du wirst leben, mein Liebling …«
    »In einem Gefangenenlager …!«
    »Nicht lange. Ich hole dich heraus.«
    »Das wird nicht möglich sein.«
    »Es ist vieles möglich in Rußland.« Sie legte den Kopf an seine Schulter, ihr schwarzes Haar fiel über sein eingefallenes, knochiges Gesicht. »Und wir können warten, mein Liebling … wir haben gelernt, geduldig zu sein. Waren wir stark genug, auf den Tod zu warten … wir sollten stärker sein, auf das Leben zu hoffen …«
    Er nickte und drückte sie an sich. Aber er sah sie dabei nicht an. Keiner wird dieses Stalingrad überleben, dachte er. Alles ist nur ein Selbstbetrug … Ende des Krieges, Ruhe, ein Bett, tägliches Essen, ein sauberes Lagerlazarett … Es wird alles umsonst sein. Aus unseren Körpern kann man kein Feuer mehr schlagen … sie sind ausgebrannt für immer.
    Dr. Sukow kam in den OP-Keller. Er hatte im Funkraum eine der letzten Meldungen gehört. Ein Parlamentär der Sowjets, ein Major aus dem Generalstab Rokossowskijs, wurde in das Kellerlabyrinth des Kaufhauses Univermag geführt. Noch einmal überbrachte er ein Kapitulationsangebot der Russen, im letzten Augenblick, die Forderung einer bedingungslosen Übergabe mit der Zusicherung, daß die Offiziere Seitenmesser, Dolche,
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