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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe
Autoren: Viktor Pelewin
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Bezeichnung »zarte Braut« in der modernen russischen Umgangssprache etwas bedeutet, was dem Ausdruck »wildes Tier auf dem Sprung« doch sehr nahe kommt, ist die Gegenüberstellung hier gar nicht am Platz.
     
    Meiner ansichtig geworden, zog der Sikh die Brauen hoch und schwankte. Wenn einer einen Hypnoschock erleidet, meint man den Schatten eines leisen Überdrusses über sein Gesicht gleiten zu sehen. Wie in dem Moment, wo die Kugel auf den Schädel aufschlägt – wer sich an die Dokumentaraufnahmen von Erschießungen in Vietnam erinnert weiß, wovon ich rede. Nur dass der Kunde von meiner Kugel nicht umfällt.
    Ein Lächeln auf dem Gesicht, scharwenzelte der Sikh auf das leere Bett zu; auf dem Weg dorthin schüttelte er das Jackett ab. Ich wartete einen Moment, bis er halbwegs bequem lag, dann setzte ich mich auf den Stuhl daneben und öffnete meine Handtasche.
    Ich arbeite an meiner sittlichen Vervollkommnung, darum vermeide ich es, zu einem Kunden hinzusehen, während die kostenwirksame Zeit läuft. Was mit einem Mann vor sich geht, wenn er ein Rendezvous mit einem Werwolf hat, schämt man sich auch nur zu erzählen. Man schämt sich vor allem für ihn, denn er sieht weiß Gott nicht gut dabei aus. Aber auch ein bisschen für sich selbst, denn was dem Mann da geschieht, kommt ja nicht von ungefähr.
    Ich bin bei keiner Boulevardzeitung und werde mich darum nicht in schlüpfrigen Details ergehen; es genügt zu sagen, dass der Mann sich besonders unvorteilhaft aufführt, wenn er seine sexuellen Phantasien auszuleben beginnt. Dass er sich dabei allein in der Arena aufhält, steigert die Obszönität ins Quadrat. Trägt der Mann dann noch einen blauen Turban und ist so behaart, dass man meint, ihm wüchse der Bart am ganzen Körper, gelangen wir von der zweiten in die dritte Potenz.
    Eine Sinnestäuschung aufrechtzuerhalten ist sehr viel einfacher, als sie, den fremden Geist annektierend, zu erzeugen. Die erste Sekunde ist entscheidend, der Rest Routine. Trotzdem sollte man, solange der Kunde im Reich der Illusionen weilt, lieber in der Nähe bleiben; man hat die Funktion einer Nachtschwester zu erfüllen. Dem Patienten zuzusehen ist jedoch mitunter arg, wie gesagt. Darum habe ich in der Regel ein gutes Buch dabei. So auch diesmal: Ich machte es mir neben dem Bett bequem und griff zu Stephen Hawkings Kurzer Geschichte der Zeit , aus der eine Menge Interessantes über die diversen parallel existierenden Koordinatensysteme zu erfahren ist. Ich habe das Buch schon mehrmals von vorne bis hinten durchgelesen, und es wird mir nicht zu viel, ich kann immer noch so herzlich lachen wie beim ersten Mal. Dabei vermute ich ja, dass es gar nicht ganz ernst gemeint ist, eine postmodernistische Narretei. Schon der Name Stephen Hawking klingt verdächtig nach einem anderen Horrorschriftsteller, Stephen King. Nur dass der Horror hier von anderer Art ist.
    Der Sikh erwies sich als einigermaßen friedfertig; er faselte etwas in seiner Muttersprache und machte sich in der Bettmitte zu schaffen, man musste nicht fürchten, dass er herausfiel. Trotzdem warf ich gelegentlich einen Kontrollblick auf den Patienten, wie es sich für eine Nachtschwester gehört. Als er meinte, das Nichts lange genug von oben umfangen zu haben, schmiegte er sich seitlich an. Sodann bestieg er es wieder.
    An diesen Anblick kann man sich nur schwer gewöhnen. Die Leute kriegen Muskelkrämpfe, und darum sieht es in diesen Phasen so aus, als läge der Kunde tatsächlich auf einem unsichtbaren Körper. Sein ganzes Gewicht ruht auf den seltsam verrenkten Händen, manchmal auch nur den Fingern. Willentlich könnte ein Mensch sich schwerlich auch nur Sekunden in solch einer Positur halten, in Trance bringt er Stunden darin zu. Doch derlei Phänomene sind in der Literatur zur Hypnose ausführlich beschrieben, da springt kein Nobelpreis für mich raus. Was soll mir auch der Menschen Ruhm! Ich brauche von den Menschen nichts weiter als ihre Liebe und ihr Geld.
    Diese Methode zur Bewahrung ewiger Jugend, wie sie der allgemeine Lauf der Dinge mir eröffnete, hat mich immer ein bisschen peinlich berührt, auch wenn ich alle Bezichtigungen eines Vampirismus von mir weise. Fremde Lebenskraft zu stehlen hat mir nie irgendwelche Lust bereitet. Ich meine, moralische Befriedigung. Der physiologische Aspekt bei der Sache ist nicht von der Hand zu weisen, doch er unterliegt keiner moralischen Bewertung: Noch der tierliebste Mensch kann mit Genuss ein blutiges Steak verzehren,
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