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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe
Autoren: Viktor Pelewin
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Treffen, solche Gespräche zu bedeuten haben. Der Ratschlag, mit den »Organen« in Kontakt zu bleiben … Die letzten Tage habe ich damit zugebracht, alte Manuskripte zu sichten und zu verbrennen. Das Sichten beschränkte sich darauf, dass ich die Seiten diagonal überflog, bevor ich sie ins Feuer warf. Besonders Gedichte haben sich bei mir in letzter Zeit angesammelt:
     
    Sei nicht die flügellose Fliege, lost in Thule,
    Fürcht' nicht die alles unter sich begrabende Nacht.
    In ihr sind zwei (ich selbst, die Werfüchsin A Huli,
    Und Hund Pisdez, mein dunkler Freund) und haben acht …
     
    Die Gedichte zu verbrennen deprimiert mich besonders: Hat nicht sein sollen, dass ich sie jemandem vorlese. Mein dunkler Freund ist zu beschäftigt. Nun bleibt nur noch eine Sache zu tun, und deren Vollendung steht kurz bevor. (Sie merken, die Erzählzeit wechselt von der Vergangenheit in die Gegenwart.) Es geht um das, was der Gelbe Herr mir vor zwölf Jahrhunderten angeraten hat. Ich soll den Werfüchsen allen erklären, wie man die Freiheit erlangt. Eigentlich ist dies schon beinahe erledigt – nur will ich das Gesagte noch einmal bündeln zu einer griffigen und klaren Instruktion.
    Ich sprach bereits davon, dass die Werfüchse sich mit Hilfe ihres Schweifes eine Illusion von der Welt verschaffen. Ein Symbol hierfür ist der Uroboros, an dem sich meine Phantasie über die Jahrhunderte immer wieder entzündet hat, da ich das große in ihm verborgene Mysterium spürte. Eine Schlange beißt sich selbst in den Schwanz …
    Die unverbrüchliche Verbindung zwischen Schweif und Bewusstsein ist das Fundament, auf dem die Welt ruht, wie wir sie kennen. Nichts kann diesen Kausalring sprengen. Mit einer Ausnahme: der Liebe.
    Wir Werwesen sind den Menschen in jeder Beziehung weit voraus. Doch gleich ihnen erfahren wir höchst selten die wahre Liebe. Deshalb entzieht sich der verborgene Pfad, dieser Welt zu entkommen, unseren Blicken. Und dabei ist er so einsichtig, dass man es nicht glauben mag: Die Kette der Selbsthypnose lässt sich mit einer einzigen Regung des Geistes zerreißen.
    Ich gebe diese unübertreffliche Lehre nun weiter in der Hoffnung, dass sie die Grundlage bilden möge für die endgültige Befreiung all derer mit Herz und Schweif. Diese vor undenklichen Zeiten verlorengegangene Technik ward von mir, dem Werfuchs A Huli, unter den in diesem Buch beschriebenen Umständen zum Wohle aller Wesenheiten wiederentdeckt. Hier nun die vollständige Darlegung der im Altertum einmal als Schweif der Leere bekannt gewesenen Geheimtechnik.
     
    1. Zuerst muss ein Werwesen erfahren haben, was Liebe ist. Die Welt, die wir tagtäglich erschaffen, wie es unsere Gewohnheit ist, steckt voller Übel. Doch wir vermögen aus dem Teufelskreis nicht auszubrechen, weil wir uns auf eine andere Art Schöpfung nicht verstehen. Liebe hingegen ist von grundsätzlich anderer Natur, darum haben wir davon im Leben wenig. Besser gesagt, unser Leben ist, wie es ist, weil in ihm keine Liebe ist. Das, was die Menschen für Liebe halten, ist in den meisten Fällen nur schnöder Trieb und Fortpflanzungsinstinkt, multipliziert mit sozialem Durchsetzungsdrang. Du, Werwesen, mögest dich dem schwanzlosen Affen nur ja nicht anpassen! Gedenke, wer du bist!
    2. Hat ein Werwesen einmal erfahren, was Liebe ist, so kann es diese Sphäre verlassen. Doch muss es zuvor noch seine Rechnungen begleichen: denen danken, die ihm bis hierher geholfen haben, und denen helfen, die der Hilfe bedürftig sind. Sodann muss das Werwesen zehn Tage fasten, dabei drehen sich seine Gedanken um das unergründliche Mysterium der Welt und ihre grenzenlose Schönheit. Außerdem muss das Werwesen seiner dunklen Punkte gedenken und sie bereuen. Mindestens zehn der schwärzesten Punkte im Leben sollten ihm einfallen und jeder Einzelne seine Reue finden. Dabei sollten dem Werwesen wenigstens dreimal aufrichtig die Tränen kommen. Das hat nichts mit billigem Sentiment zu tun – Tränen reinigen die psychischen Kanäle, die in der dritten Etappe gebraucht werden.
    3. Sind die vorbereitenden Exerzitien abgeschlossen, wird das Werwesen den nächsten Tag nach Vollmond erwarten. An diesem Tag wird es früh aufstehen, eine Waschung vollziehen und sich an einen entlegenen Ort begeben, wo es von keinem Menschen gesehen werden kann. Dort wird es den Schweif lösen und den Lotossitz einnehmen. Wer am Lotossitz scheitert, kann genauso gut auf einem Stuhl oder einem Stubben Platz nehmen. Wichtig nur, dass
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