Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe
Autoren: Viktor Pelewin
Vom Netzwerk:
Liebe …
    Dann ließ ich es geschehen: Bäche von Tränen rannen mir über die Wangen, ich saß auf der Kiste und konnte lange nicht aufhören zu weinen, den Blick auf das quadratische weiße Papier mit seiner regelmäßigen Handschrift gerichtet. Ja, bis zum letzten Tag hatte ich ihn Grauer genannt, um ihm nicht wehzutun. Doch er war stark. Er hatte kein Mitleid nötig.
    Es war einmal im stickigen Moskau, da trafen sich zwei einsame Existenzen. Die eine erzählte, sie sei zweitausend Jahre alt, die andere gab zu, Krallen an einer gewissen Stelle zu haben. Sie verflochten für kurze Zeit ihre Schweife, sprachen über die höchsten Dinge, heulten den Mond an, und dann zogen sie wieder ihrer Wege, wie zwei Schiffe im weiten Meer …
    Je ne regrette rien . Doch ich weiß, ich werde nie wieder so glücklich sein wie im Hongkong der sechziger Jahre am Rande des Bitza-Parks, mit einer seligen Leere im Herzen und seinem schwarzen Schweif in der Hand.
     
    Dieses Buch war schon beinahe zu Ende geschrieben, als ich auf einem Fahrradausflug Michalytsch begegnete. Müde vom Pedalentreten, ruhte ich auf einer jener massiven Holzbänke aus, die auf der Brache nächst dem Bitza-Park standen, und sah gebannt den von der Rampe springenden Bikern zu. Aus irgendeinem Grund hatten ihre Räder auffällig tiefe Sättel – spezielle Sprungräder, nahm ich an. Obwohl sie ansonsten wie normale Mountain-Bikes aussahen. Als ich mich von den Springern abwandle, stand Michalytsch neben mir.
    Er hatte sich äußerlich sehr verändert, trug einen modernen Haarschnitt und nicht mehr diesen Retro-Banditenlook, sondern einen eleganten schwarzen Anzug aus der rebel share-holder -Kollektion von Diesel. Unter dem Jackett ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift I Fucked Andy Warhol. Noch darunter lugte eine Goldkette hervor, nicht zu dick, auch nicht zu dünn – angemessen. Runde Armbanduhr im Stahlgehäuse. Nike-Air-Sneakers, wie ein Mick Jagger sie trug. Wenn man sich überlegte, was für einen weiten Weg die Firma doch gegangen war seit der Zeit, da ich zu Volkskommissar Jeshow auf die Datscha gefahren war, um den neuesten Nabokov abzustauben! …
    »Hallo, Michalytsch«, sagte ich.
    »Grüß dich, Adèle.«
    »Wie hast du mich denn gefunden?«
    »Du weißt doch. Das Gerät.«
    »Gib nicht so an, du hast gar kein Gerät. Das weiß ich von Alex.«
    Er ließ sich neben mir auf der Bank nieder.
    »O doch, meine liebe Adèle. Und ob ich eins habe! Aber es ist streng geheim. Der Genosse Generaloberst hat so mit dir geredet, wie es in den Dienstvorschriften steht. Nur ich, als ich es dir damals zeigte, habe die Vorschriften verletzt. Wofür mir der Genosse Generaloberst anschließend den Kopf gewaschen hat. Jetzt gerade verletze ich die Vorschriften übrigens schon wieder. Während der Genosse Generaloberst sich immer streng daran hält.«
    Ich war mir nicht mehr sicher, wer von den beiden log.
    »Und die Putzfrau von der Pferderennbahn, arbeitet die trotzdem bei euch?«
    »Wir sind in unseren Methoden sehr flexibel«, wich Michalytsch einer Antwort aus. »Das ginge auch gar nicht anders. Ist ja doch ein großes Land.«
    »Das ist wahr.«
    Ein, zwei Minuten schwiegen wir. Interessiert schaute Michalytsch den Springern an der Rampe zu.
    »Wie geht es Pawel lwanowitsch?«, fragte ich für mich selbst überraschend. »Macht er immer noch Fachberatung?«
    Michalytsch nickte.
    »Er war erst neulich wieder bei uns. Hat ein Buch empfohlen, wie hieß das noch mal …« Michalytsch griff sich in die Jacketttasche, zog einen Zettel hervor und reichte ihn mir. Martin Wolf. Why Globalization Works , stand mit Kugelschreiber darauf geschrieben. »Ist alles in Wirklichkeit gar nicht so von der Hand zu weisen, hat er gemeint.«
    »Ach so?«, sagte ich. »Na, umso besser. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht. Apropos, was ich schon lange fragen wollte: Diese ganzen Weltbankfunktionäre, der Wolfensohn und jetzt dieser Wolfowitz – sind die etwa alle …?«
    »Wölfe gibt es verschiedene, genau wie Menschen«, sagte Michalytsch. »Aber uns können die sowieso nicht mehr das Wasser reichen. Die Firma hat jetzt ganz andere Möglichkeiten. Nagual Rinpoche gibt es nur einen auf der Welt.«
    »Wen?«
    »So nennen wir unseren Genossen Generaloberst.«
    »Wie gehts ihm eigentlich?«, konnte ich mir die Frage nicht verkneifen.
    »Gut.«
    »Was treibt er so?«
    »Steckt in der Arbeit bis über die Ohren. Und sitzt anschließend noch im Archiv. Quellenstudium.«
    »Was denn für
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher