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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe
Autoren: Viktor Pelewin
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die Materie gezeugt wurde. Hier gibt es wiederum im Englischen eine sprachliche Übereinstimmung, die zu denken gibt: Big Bang meint den Urknall genauso wie den Großen Fick. Die verborgensten Seiten des Universums liegen im Dunkel der schwarzen Löcher verborgen, man hat keinen Einblick in die nackte Singularität, von dort dringt so wenig Licht heraus wie aus einem Schlafzimmer in dem der Kronleuchter ausgeschaltet ist. Im Grunde sind Astrophysiker auch bloß Voyeure, fiel mir ein. Letzteren gelingt es immerhin ab und zu, durch den Spalt zwischen den Vorhängen einen Blick auf den fremden Liebesakt zu erhaschen, während die Physiker vom Schicksal härter geschlagen sind, sie blicken ins Zappendustere, und alles bleibt ihrer Einbildung überlassen …
    Als der Sikh mit seiner Zigarette und der Geschichte fertig war, drehte er sich auf die Seite und ging erneut und für länger ans Werk. Das rhythmische Knarren der Matratze war von einschläfernder Wirkung. Und ich beging die ärgste Dummheit, zu der ein Werfuchs im Dienst fähig sein kann: Ich schlief tatsächlich ein.
    Eigentlich war ich nur kurz weggenickt und gleich wieder aufgewacht. Doch das hatte genügt. Mein Gefühl sagte mir, dass der Kontakt zu dem Sikh abgerissen war. Ich schaute auf – in seine aufgerissenen Augen. Er sah mich, und zwar so, wie ich wirklich war: auf meinem Stuhl sitzend, mit halb heruntergelassener Hose und hinter dem Rücken aufragendem Schweif. Dieser Anblick aber ist nur den Spiegeln und den Geistern gestattet – niemandem sonst.
     
    Zuallererst dachte ich, einen Dao-Beschwörer vor mir zu haben. Aber das war ein selten dämlicher Gedanke, denn
    1. lebte der letzte Dao-Mönch, der sich auf die Fuchsjagd verstand, im achtzehnten Jahrhundert; und selbst wenn sich einer in unser Jahrhundert herübergerettet hätte, wäre er
    2. schwerlich darauf gekommen, sich als Sikh mit Bart und Oxford-Englisch zu tarnen – too freaking much; da ich
    3. nach der Methode Die Braut gibt einen Ohrring zurück arbeite, wären Dao-Mönche formell gar nicht berechtigt, auf mich Jagd zu machen. Und
    4. kommen Daoisten nie dreimal hintereinander.
     
    Doch unsere ererbte Angst vor Beschwörern böser Geister sitzt tief, sodass wir im Augenblick der Gefahr immer an sie denken. Bei Gelegenheit werde ich einmal ein paar Geschichten über diese Typen zum Besten geben, damit meine Gefühle verständlicher werden.
    Schon eine Sekunde später wusste ich, das war kein Dao-Mönch. Mein Kunde war mir vom Schweif gesprungen. Ein Anblick zum Grausen. Dem Sikh klappte der Mund auf und zu wie einem Fisch auf dem Trocknen. Im Bestreben, seinen ungehorsamen Körper unter Kontrolle zu bekommen, hob er die Arme, die Finger schlossen sich krampfhaft zur Faust und öffneten sich wieder. Dann stieß er ein paar röchelnde Laute hervor – und stand im nächsten Moment auf den Füßen.
    Hier endlich löste ich mich aus meiner Starre und stürzte ins Badezimmer. Der Sikh kam hinterhergesprungen, doch es gelang mir, ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen. Im Augenblick der Gefahr arbeitet mein Denken außerordentlich schnell; ich wusste sofort, was zu tun war.
    In jedem Badezimmer vom National gibt es eine rot-weiße Schnur, die aus einem Loch in der Wand kommt. Woran sie hängt, weiß ich nicht, doch zieht man an ihr, klingelt im Zimmer nach zehn Sekunden das Telefon, und noch eine Minute später wird an die Tür geklopft. Ich riss an dieser Signalleine und stürzte zurück zur Badtür.
    Die nächsten Sekunden wurden ziemlich aufregend. Die Schläge gegen die Tür gingen mir durch Mark und Bein. Ich wartete auf die Wache und zählte vor mich hin, bemühte mich, nicht zu schnell zu zählen. Der Sikh hämmerte gegen die Tür wie ein Wilder, doch mir gelang es ohne weiteres gegenzuhalten – er war ja kein Hüne.
    Das Telefon klingelte in Sekunde zwanzig. Natürlich ging der Sikh nicht ran. Als das Wummern ein, zwei Minuten später aussetzte, schloss ich daraus, dass Leute im Zimmer waren. Es wurde auch höchste Zeit, die Türangeln hatten sich bereits gelockert. Ich hörte Möbel umstürzen, Glas splittern und einen unverständlichen Schrei, etwas wie »Kali ma!«. Das war der Sikh. Dann trat Stille ein, von entferntem Autohupen abgesehen.
    »Scheiße, das wars«, sagte eine Männerstimme. »Der war nicht zu halten.«
    » Sei froh, dass wir uns selber halten konnten«, sagte eine andere.
    »Stimmt auch wieder«, erwiderte der Erste.
    Es war besser, mich bemerkbar zu machen,
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