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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe
Autoren: Viktor Pelewin
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das ist kein Widerspruch. Außerdem habe ich – im Unterschied zu den Menschen, für die das Töten von Tieren normal ist – schon seit Jahrhunderten niemanden mehr ums Leben gebracht. Jedenfalls nicht wissentlich. Unglücksfälle mag es geben, doch eine mit mir verbrachte Nacht ist auf jeden Fall weniger gefährlich als ein Flug mit einem russischen Hubschrauber bei mittelmäßiger Sicht. Und wird bei mittelmäßiger Sicht mit Hubschraubern geflogen? Sehen Sie. So ein Hubschrauber bin auch ich.
    Außerdem empfinde ich es nicht so, dass ich jemandem persönlich Energie klaue. Wenn einer einen Apfel isst, nimmt er zu diesem Apfel keine private Beziehung auf, er folgt der bestehenden Weltordnung. Ähnlich betrachte ich meine Position in der Nahrungskette. Energie, die dazu bestimmt ist, Leben zu zeugen, kann niemandem gehören. Wer sich in den Liebesakt einlässt, wird zum Kanal, verwandelt sich von einem versiegelten Gelaß in ein Rohr, das für ein paar Sekunden mit dem bodenlosen Urquell von Lebenskraft kommuniziert. Diesen Quell muss ich anzapfen, das ist alles.
    »Jetzt dreh dich mal auf dein Bäuchlein, Kleines«, sagte der Sikh. »Wir wollen ein bisschen zur Sache kommen.«
    Analsex ist der Lieblingssport von Portfolio-Managern. Das lässt sich psychoanalytisch einfach erklären. Nicht zufällig existiert der Ausdruck Arschvergolden in zweierlei Bedeutung. Mein Verhältnis zum Analverkehr ist positiv. Denn dabei lässt der männliche Organismus besonders viel Lebenskraft springen – Erntehochzeit für unsereins.
    Ich legte das Buch beiseite, schloss die Augen und startete die übliche Visualisierung: Yin und Yang, umgeben von acht lodernden Trigrammen. Dann visualisierte ich mich selbst als die schwarze Hälfte des Zeichens, den Sikh als die weiße. In der Mitte der schwarzen Hälfte glühte ein weißer Punkt auf, in der Mitte der weißen erschien ein schwarzer. Die weiße Hälfte verdunkelte sich, die schwarze hellte auf, am Ende hatten sie ihre Plätze vertauscht. Somit war die gesamte Energie der Situation an mich gegangen.
    Für einen Dilettanten wäre das der naheliegende Moment, um auszukoppeln. Ich hingegen arbeite ausschließlich nach der Methode Die Braut gibt einen Ohrring zurück – so poetisch wurde sie vor rund sechshundert Jahren im Reich der Mitte bezeichnet.
    Beim Stehlen fremder Lebenskraft ist es wichtig, den Himmel und die Geister nicht durch Geiz zu erzürnen. Darum gab ich der Situation Raum zur Gegenbewegung. Der Energiestrom versiegte, und es entstand ein Rückstoß. Meine Visualisierung änderte sich dementsprechend rapide: Im Zentrum der weißen Hälfte vom Yin-Yang entstand ein kleiner schwarzer Fleck, in der schwarzen Hälfte einer in weiß. Erst als beide deutlich sichtbar waren, kappte ich die Energieverbindung und ließ die Visualisierung zu Nichts zergehen.
    Ein guter Spieler wird das Casino nach einem großen Gewinn nicht gleich verlassen – lieber noch ein bisschen was verlieren, um die Missgunst der Leute zu besänftigen. So verhält es sich auch in unserem Fach. Die meisten Werfüchse im Altertum sind nur wegen ihres Geizes totgeschlagen worden. Damals begriffen wir: Teilen ist wichtig! Der Himmel grollt uns weniger, wenn wir Mitgefühl zeigen und einen Bruchteil der Lebensenergie rückerstatten. Das mag einem als Peanut erscheinen, doch es macht einen Unterschied aus – wie, sagen wir, zwischen Diebstahl und Pfandversteigerung. Formell haben die Geister hier nichts zu beanstanden. Und das Gewissen lässt sich sowieso nicht betrügen, man kann es also getrost außen vor lassen.
    Der Sikh erhob sich und wankte ins Bad. Kam zurück, streckte sich auf dem Rücken aus, zündete sich eine Zigarette an und begann dem benachbarten Kopfkissen eine Geschichte aus seinem Leben zu erzählen; er klang erschöpft. Männer werden nach dem Koitus für eine halbe Stunde gütig und gesprächig, das hängt mit dem Dopaminausstoß im Hirn zusammen, eine Belohnung nach erfüllter Pflicht. Ich hörte kaum hin. Viel lieber hätte ich weitergelesen, wie das schwarze Loch sich verhält, wenn sein Durchmesser infolge eines Gravitationskollapses die Entfernung zum Ereignishorizont unterschreitet.
    An diesen astrophysikalischen Modellen meinte ich einen erotischen Subtext wahrzunehmen, in mir reifte die Überzeugung, dass Stephen Hawkings Buch weniger von Physik handelt als vom Sex – nicht von den kümmerlichen Formen menschlicher Kopulation, nein, von einem grandiosen kosmischen Koitus, bei dem
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