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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe
Autoren: Viktor Pelewin
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Wenn einer sich unserem hypnotischen Einfluss jäh entzieht (vom Schweif springt, wie wir sagen), erleidet er einen Anfall mit unvorhersehbaren Folgen. Meistens versucht er, den in diesem Moment vollkommen wehrlosen Werfuchs zu töten.
    Dazu muss man wissen, dass unserem Sport ein pikantes Detail eigen ist. Im Ruhezustand ist unser Schweif, wie gesagt, sehr klein, weshalb wir ihn zwischen den Beinen verstecken. Damit die Antenne ihre volle Leistung erreicht, muss sie aufgeklappt werden. Zu diesem Zweck ist es erforderlich, die Hosen etwas herunterzulassen beziehungsweise den Rock zu heben und den Schweif zu einer feuerroten Schleppe zu entfalten. Die Suggestionskraft erhöht sich hierbei um ein Vieldutzendfaches, es ist der Knackpunkt des ganzen Spiels.
    Die Notwendigkeit sich zu entblößen müsste in einem fort zu peinlichen und zweideutigen Situationen führen, doch glücklicherweise kommt uns hier ein Umstand zupass: Vollzieht man den Akt der Entblößung schnell genug, vergisst der Augenzeuge alles, was er gesehen hat. Es gibt hier gewissermaßen eine Dunkelphase, zehn, zwanzig Sekunden, die seinem Gedächtnis komplett entfallen; in dieser Zeit können wir das Manöver vollziehen. Man kennt das von Ohnmachten – wenn der Mensch wieder zu sich kommt, weiß er nicht mehr, was unmittelbar vor dem Anfall passiert ist.
    Und ein Letztes muss hier noch gesagt sein. Unsere Ernährung ist menschengemäß (sie gleicht in vielem der Atkins-Diät). Darüber hinaus aber vermögen wir die sexuelle Energie des Menschen, die er während des Liebesaktes (ganz gleich, ob real oder eingebildet) abgibt, auf direktem Wege aufzunehmen und zu verwerten. Und während die normale Nahrung für die chemische Regulierung unseres Stoffwechsels sorgt, ist die sexuelle Energie wie eine Art Vitaminstoß für uns, ein Jungbrunnen, eine Charmespritze. Ob das mit Vampirismus zu tun hat? Ich denke nicht. Wir lesen nur auf, was der Mensch in seiner Unvernunft verschleudert. Selbst wenn ihn seine Verschwendungssucht in den Tod treibt – ist das etwa unsere Schuld?
    In manchen Büchern steht über Werfüchse geschrieben, dass sie sich nicht waschen – daran könne man sie erkennen. Das hat nun nichts mit Schmuddeligkeit zu tun. Der Überschuss an sexueller Energie dringt in uns ein, tränkt uns mit des Urgrunds unsterblicher Essenz, unser Körper reinigt sich beim Einatmen dieser frischen Morgenluft selbst. Der milde Geruch, den er ausströmt, ist ausgesprochen angenehm; er erinnert an die Duftmarke Essenza di Zegna, nur leichter, transparenter, ohne den schwülen, sinnlichen Mistral im Hintergrund.
    Nun, so hoffe ich, wird Ihnen mein Vorgehen verständlicher sein.
    Ich hatte also das Wasser angestellt, damit der Kunde es rauschen hörte, knöpfte mir die Hose auf und ließ sie ein wenig herunter, womit der Schweif auch schon befreit war. Dann zählte ich betont gemächlich bis dreihundert (angenommene fünf Minuten) und öffnete die Tür.
     
    In populären Abhandlungen über die Relativitätstheorie wird häufig der Vergleich bemüht, dass zwei Kameras gleichzeitig in Gang gesetzt werden: die eine im autonomen Koordinatensystem, die andere auf dem Kopf des Astronauten. In unserem Fall sollte man besser »im Kopf« sagen.
    Was hätte die Kamera im Kopf des Sikhs gefilmt?
    Wie die Badezimmertür aufging und das Mädchen seiner süßesten Kinderträume herauskam mit einem blendend weißen Handtuch um den Leib. Das Mädchen trat ins Zimmer, ging zum Bett, schlug die Decke zurück und schlüpfte darunter, wobei sie zart errötete wie eine Braut: Man sah, dass sie erst seit kurzem im Geschäft war und die professionelle Schamlosigkeit noch nicht beherrschte.
    Dies war es, was der Sikh sah.
    Ob in den Zimmern vom National Kameras existieren, die im autonomen Koordinatensystem arbeiten, entzieht sich meiner Kenntnis. Den Versicherungen des Personals zufolge nicht. Gäbe es sie, hätten sie das Folgende aufgezeichnet:
     
    1. Kein Handtuch. Das Mädchen dachte überhaupt nicht daran, sich zu entkleiden, hatte nur die Hosen ein bisschen heruntergelassen; darüber ragte, einem Federbusch gleich, der Schweif.
    2. Das Mädchen trat nicht ins Zimmer, es kam auf allen vieren gekrochen, und der wippende Schweif stand wie ein rotes Fragezeichen über dem Rücken.
    3. Mehr als einer zarten Braut glich es einem wilden Tier auf dem Sprung. Seine grünen Augen blickten tückisch und gespannt, nicht die Spur eines Lächelns im Gesicht.
    4. Insofern die
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