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Das heilige Buch der Werwölfe

Das heilige Buch der Werwölfe

Titel: Das heilige Buch der Werwölfe
Autoren: Viktor Pelewin
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Begriff Aporie hier am Platz war, denn ein unauflösbarer Widerspruch kam nicht vor – wenn man ihn nicht darin sehen wollte, Gott inmitten von Blut und Schrecken zu finden. Jedenfalls rief der Terminus bei dem Sikh keinen Widerspruch hervor. Er riss die Augen noch etwas weiter auf und sah nun nicht bloß wie ein Krebs aus, sondern wie ein Krebs, der endlich begriffen hat, warum die vielen großen Biergläser um ihn herumstehen. Während er an meinen Worten kaute, trank ich in aller Ruhe meinen Cocktail aus – was dieser Drambuie für ein Zeug war, wurde mir dabei nicht klarer. Der Sikh war ein Anblick für die Götter, das muss man sagen. Er balancierte sozusagen auf dem Grat zur Erleuchtung, ein leichter Schubs mochte genügen, um seinen Verstand aus dem fragilen Gleichgewicht zu bringen.
    Und so geschah es. Kaum hatte ich mein Glas auf dem Tisch abgestellt, kam er zu sich. Zog eine Diners-Club-Platinum-Kreditkarte mit Che-Guevara-Hologramm aus der Brieftasche und klopfte damit auf den Tisch, was ein Zeichen für den Kellner war. Dann legte er seine Hand auf meine und raunte: »Wollen wir jetzt aufs Zimmer gehen?«
     
    Wenn ein Hotel National heißt, dann unterstellt man ihm, einen Nationalgeschmack zu repräsentieren. Dieser ist in Russland eklektisch, was die Einrichtung tatsächlich widerspiegelt: Der Läufer auf der Treppe weist die klassischen Königslilien auf, die Buntglasfenster sind Jugendstil, und bei der Auswahl der Bilder an den Wänden ist schon gar kein Prinzip zu erkennen: Kirchen, Blumensträuße, Waldstücke, alte Bäuerinnen, Alltagsszenen aus Versailles, dazwischen taucht unversehens Napoleon auf, der aussieht wie ein blauer Papagei mit goldenem Schwanz …
    Aber es scheint übrigens nur auf den ersten Blick so, als hätten die Bilder nichts miteinander zu tun. Sie haben in künstlerischer Hinsicht etwas ganz Wesentliches gemeinsam: ihre Verkäuflichkeit. Hat man sich das vergegenwärtigt, sticht eine frappierende stilistische Uniformität ins Auge. Mehr noch, man gelangt zu der Erkenntnis, dass so etwas wie abstrakte Kunst gar nicht existiert, es gibt nur konkrete. Ein tiefer Gedanke, ich hätte ihn gern notiert, doch in Gegenwart des Kunden war mir das peinlich.
    Vor einer Glastür mit der Nummer 319 blieben wir stehen, der Sikh führte mit laszivem Lächeln die Schlüsselchipkarte in den Türschlitz ein. Er hatte ein VIP-Zimmer; solche kosten hier an die sechshundert Dollar pro Tag.
    Hinter der Doppeltür lag eine kleine Business-Lounge: gestreifter Diwan mit hoher Lehne, zwei Sessel, Drucker und Fax, Kübelpalme, kleine Vitrine mit altertümelndem Geschirr. Vom Fenster sieht man auf eine Straße, von der aus man den Kreml sieht. Das ist Kategorie B. Außerdem gibt es hier noch Kategorie C, wo man auf eine Straße sieht, von der aus man eine andere Straße sieht, von der aus man den Kreml sieht.
    »Wo ist das Bad?«, fragte ich.
    Der Sikh ging daran, seine Krawatte aufzubinden.
    »Wir haben's wohl sehr eilig?«, fragte er anzüglich. »Da hinten.«
    Ich öffnete die Tür, auf die er gezeigt hatte. Hinter ihr lag das Schlafzimmer. Das riesige Doppelbett nahm beinahe den ganzen Raum ein. Eine kleine Tür in der Ecke, die man übersehen konnte, ging ab ins Bad. Korrekt!, dachte ich: Die Dinge sollten nach ihrem Stellenwert im Leben bemessen sein. So gesehen, war dieses Hotelzimmer annähernd ideal, es war dem Leben eines VIP exakt nachgebildet. Dem Bereich Arbeit entsprach die Business-Lounge: mal ein Fax kriegen, mal eins abschicken, auf dem gestreiften Diwan sitzen, auf die Palme gucken oder, wenn man die Palme satt hat, den Kopf wenden und auf das Geschirr in der Vitrine gucken. Dem Privatleben entsprach das Schlafzimmer mit nichts als dem Bett: Schlaftablette schlucken und schlafen. Oder eben das jetzt.
    Ich betrat das Badezimmer, stellte die Dusche an und rüstete mich für die Arbeit. Das war nicht weiter schwierig: Ich musste nur die Hosen ein bisschen herunterlassen und meinen Schweif befreien. Das Wasser hatte ich nur zur Tarnung angestellt.
    Ich merke, dass ich an einen Punkt gekommen bin, wo einige Erklärungen vonnöten sind, sonst bekommt mein Bericht etwas Obskures. Ich unterbreche ihn also hier, um ein paar Worte über mich zu verlieren.
    Wir Werfüchse haben streng genommen kein Geschlecht, und wenn ich von uns in der weiblichen Form rede, dann nur, weil wir wie Frauen aussehen. In Wirklichkeit sind wir eher wie Engel, das heißt, wir verfügen über keine Fortpflanzungsorgane.
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