Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden
Autoren: Georg Adolf Narciss
Vom Netzwerk:
Ischtar erschrak und fragte: »Was tust du da? Warum nimmst du mir mein Kopftuch?« Namtar aber sagte nur: »Komm weiter, ohne zu fragen, Herrin! Meine Gebieterin hat es so befohlen.« Am zweiten Tor aber nahm er Ischtar die goldenen Ohrgehänge ab, am dritten die bunten Halsketten, am vierten das Geschmeide von ihrem Busen, am fünften den Gürtel mit den magischen Steinen, der die Geburten erleichtert, am sechsten die silbernen Spangen an ihren Händen und Füßen, am siebten aber das Schamtuch, das ihre letzte Nacktheit bedeckte. Mit jedem Male erschrak Ischtar mehr, und ein jedes Mal fragte sie wieder nach dem Warum, und ein jedes Mal erhielt sie die gleiche Antwort:
    »Komm weiter, ohne zu fragen, Herrin! Meine Gebieterin hat es so befohlen.« Ischtar kannte die Gesetze des Totenreiches nicht. Sie wußte nicht, daß man es nur nackt betreten durfte.
    Endlich stand Ischtar vor ihrer dunklen Schwester Ereschkigal, die sie finster und tückisch anblickte. Nackt stand die Herrin der Götter vor ihrer Feindin und bedachte, was sie auf dem Weg durch die sieben Tore erlebt hatte. Da packte sie ein wilder Zorn, und sie fiel wütend über die Schwester her.
    Ereschkigal rief den Pförtner zu Hilfe. Er mußte die himmlische Schwester bändigen und hinter Schloß und Riegel bringen. Dann mußte Namtar sie mit den sechzig Qualen schlagen, mit allen Krankheiten der Augen, der Arme und Füße, der Eingeweide und des Kopfes. Der ganz Leib war ein Schmerz. Ischtar war nun die Gefangene der dunklen Mächte.
    Sie saß in der düsteren Tiefe, fern von allen Himmeln, fern von der Erde. Auf der Erde aber war inzwischen alle Fruchtbarkeit erloschen. Kein Stier besprang mehr eine Kuh, kein Esel fand mehr zur Eselin, Mann und Weib blieben für sich und schliefen allein, die Felder trugen keine Frucht, die Freudenfeste waren vergessen. Papsukkal, der himmlische Bote, zog in Trauergewändern über die Erde, er zog von Gott zu Gott und klagte: »Seit Ischtar in das Land ohne Wiederkehr stieg, ist alles Leben auf der Erde erstarrt! Was soll geschehen?«
    Ea, der Gott des Guten, der Herr über die Meere, schuf einen Spielmann, der Ereschkigal mit seinem magischen Spiel und mit heiteren Weisen betören sollte. Er sollte ihre Unlust in Lust verkehren und sich einen Wunsch erbitten, sobald sie freudig gestimmt wäre. Einen Krug mit Lebenswasser sollte er sich wünschen. Der Spielmann drang bis zu Ereschkigal vor, und sein Spiel machte ihr Freude. Sie wurde wider Erwarten mild und gewährte ihm einen Wunsch. Als er aber das
    Lebenswasser verlangte, fuhr sie zornig auf und schrie: »Du begehrst, was keiner begehren darf! Verlasse mein Reich! Sei verflucht! In den Gossen der Städte sollst du dir deine Nahrung suchen! Keiner darf dich in sein Haus nehmen! Wer immer dich sieht, soll dir ins Gesicht schlagen!« So verfluchte die Göttin der Totenwelt den Spielmann, Unverrichteterdinge kam er zu den Göttern zurück. Da schickten sie Tammuz, Eas Sohn, den Gott des Frühlings, den Geliebten der Ischtar, den Bruder der lichten und der dunklen Göttin. Er zog in all seiner Pracht in die Welt der Toten und spielte vor seiner Schwester Ereschkigal. Sie war gerade dabei, ihre Schätze zu ordnen, die goldenen Spangen und die bunten Edelsteine. Der Bruder stand vor ihr in einer Wolke von Mädchen und spielte auf seiner Flöte, aber er spielte keine heiteren Weisen. Er klagte um Ischtar. Das rührte die harte Gebieterin so, daß sie Namtar befahl, Ischtar zu holen. Er mußte sie mit dem Wasser des Lebens besprengen, damit Tod und Siechtum von ihr wichen.
    Dann führte er sie durch die sieben Tore zurück und gab ihr am ersten das Schamtuch, am zweiten die klirrenden Spangen, am dritten den Gürtel mit den magischen Steinen, am vierten das Geschmeide für ihren Busen, am fünften die bunten Halsketten, am sechsten die goldenen Ohrgehänge, am siebten aber das große Kopftuch, mit dem Ischtar wieder ihr Haupt verhüllte. Sobald sie mit Tammuz durch das äußerste Tor der Totenwelt trat, nahm das Leben auf der Erde wieder seinen geordneten Lauf. Liebe und Fruchtbarkeit kehrten zurück.

    Isis und Osiris

    RE, DER URGOTT, der Allherr sprach: »Ich bin es, der als Chepra, als Urgott entstand. Als ich entstanden war, entstanden die Entstandenen. Alle Entstandenen entstanden, nachdem ich entstanden war… Ich erfand Zauber in meinem Herzen, ich erfand Neues in meinem eigenen Herzen. Ich bildete alle Gestalten, als ich allein war, als ich nichts wie den Schow
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher