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Das Hausbuch der Legenden

Das Hausbuch der Legenden

Titel: Das Hausbuch der Legenden
Autoren: Georg Adolf Narciss
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mischen sich in diesen Legenden von Frauen und Männern, die ein geistiges Leben in der Distanz zu den Dingen und Sorgen dieser Welt führen wollten und die Askese als die beste Schule erkannt hatten, diese Distanz zu lernen. Die
    »Geistliche Wiese« (Pratum spirituale) ist zweihundert Jahre nach dem Lausiakon entstanden, hat aber ähnlichen Charakter.
    Ihr Verfasser, Johannes Moschus, lebte um die Mitte des 6.
    Jahrhunderts als Mönch in Jerusalem, dann in Ägypten, auf dem Berg Sinai und zuletzt in Antiochien. Er erzählt etwa dreihundert Geschichten und Wunder aus dem Leben
    zeitgenössischer Asketen, die er wie bunte Blumen auf einer Frühlingswiese fand (234 – 241). Die beiden koptischen Legenden (245, 250) sind von demselben Geist erfüllt.
    Symeon, der Stylit, galt zu seinerzeit als »das große Wunder des Erdkreises« (241). Er versuchte die Askese bis in ihre letzten Konsequenzen durchzuführen.
    Die Legenden von den Märtyrern berühren uns unmittelbarer.
    Zu den Blutzeugen gehören auch Petrus (172), Paulus (186) und Thekla (208), deren Legenden an anderer Stelle stehen.
    Nach den meisten Märtyrerlegenden (252 – 280) bleiben die Martern wirkungslos, sie prallen gleichsam ab, die Wunden heilen über Nacht, das Unheil kommt über die Richter und die Schergen. Der Mut der glaubensbereiten Herzen wird dadurch angefacht. Viel tiefer faßt der heilige Bernhard die Frage an in seinem Sermo 61: »Wenn die Seele in ihrem eigenen Leibe wäre… , würde sie das Eisen fühlen, das ihn durchbohrt. Der Schmerz würde ihr unerträglich sein. Sie müßte ihn
    zurückweisen oder erliegen. Wundern wir uns nicht, wenn die Seele, die den Leib freiwillig verlassen hat, den Schmerz des Körpers nicht mehr fühlt. Das Gefühl ist nicht vernichtet, aber überwunden. Die Liebe hat es umgewandelt, nicht die
    Betäubung.« Bei den Erzählungen von Awwakum (280),
    Chrysostomus (289) und Ambrosius (297) handelt es sich nicht um Legenden im strengen Sinne. Doch geben sie
    eindrucksvolle Beispiele dafür, wie die Legende die
    Lebensbeschreibung großer Heiliger ausschmückt.
    Die Mirakellegenden (302 – 318) und Märchenlegenden (319
    – 335) sind liebenswerte Nebenformen der eigentlichen Heiligenlegende. Sie lassen Jesus mit seinen Aposteln, Maria, die Engel und die Heiligen durch unsere Lande ziehen, Wunder wirken, helfen, trösten und belehren. Sie gehören gleichsam zum täglichen Umgang, zu unserem Sonntag und zu unserem Alltag. Auch einige der Apostellegenden gehören hierher (179, 181, 185).
    Diesen meist heiteren und fröhlichen Geschichten folgen als Beschluß des Bandes drei Legenden, die nicht aus dem Raum des Christentums kommen, obgleich sie mitten in seinem Lebensbereich entstanden und gewachsen sind: die köstliche kalmückische Legende von der Waage der Gerechtigkeit (336), die von Martin Buber erzählte chassidische Legende Das Gesicht (337) und die in zahlreichen Erzählungen, Romanen, Gedichten und Schauspielen abgewandelte
    Geschichte von dem ewigen Wanderer Ahasver (345). Nach alter Überlieferung hat der Türhüter des Pilatus, Joseph Cartaphilus, Jesus zur Eile angetrieben, als er mit dem schweren Kreuz an ihm vorbeikam. Jesus soll zu ihm gesagt haben: »Ich werde gehen, du aber wirst auf mich warten, bis ich wiederkomme!« Seither ist Ahasver zu ewigem
    Erdenwandel verdammt. Er verjüngt sich alle hundert Jahre.
    Nach anderen Quellen soll er sich gleich zum Christentum bekehrt und als Büßer in Armenien gelebt haben. Über die
    »Chronica Maiora« des englischen Mönches Matthäus
    Parisiensis (13. Jh.) kam die Geschichte nach Europa. Nach dem deutschen Volksbuch (1602) ist der Schleswiger Bischof Johannes von Eitzen 1542 dem Ahasver persönlich begegnet.
    In Schleswig spielt auch die hier wiedergegebene Fassung.
    In den »Legenden des Baalschem« erzählt Martin Buber Geschichten aus dem Leben des Stifters der Chassidim, einer ostjüdischen Glaubensgemeinschaft, die gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts in Podolien und Wolhynien entstand. »Die chassidische Legende hat nicht die strenge Macht, in der die Buddhalegende redet, und nicht die innige, welche die Sprache der Franziskuslegende ist… sie ist der Körper der Lehre, ihr Bote, ihr Zeichen auf dem Wege der Welt« (M. Buber). Diese Legende erzählt kein Schicksal, sondern eine Bestimmung.
    »Der Gott der Legende beruft den Menschensohn, den
    Propheten, den Heiligen. Die Legende ist der Mythos des Ich und Du, der Berufenen und des Berufenden, des
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