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Das Haus Zeor

Das Haus Zeor

Titel: Das Haus Zeor
Autoren: Jacqueline Lichtenberg
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mit dem hohen Gitter gelegt hatten, verbrachte er den Rest dieses Tages und des nächsten in einem Dämmerzustand aus erschöpftem Schlaf, Bettpfannen und einer flüssigen Ernährung, reichlich durchsetzt mit scheußlich schmeckenden Medikamenten. Aber die Medizin schien zu wirken.
    Am dritten Morgen entfernte man die Sicherheitsgitter, und zum erstenmal fand er Interesse an seiner Umgebung.
    Der Raum war ungefähr fünfzehn Fuß im Quadrat groß und hatte geräumige Wandschränke und ein privates Bad. In der Ecke nahe dem Fenster gab es einen kleinen, freundlichen Heizkörper, der Tag und Nacht arbeitete, um die frühherbstliche Kälte aus der Luft fernzuhalten. Die Wände waren verschwenderisch mit handgefertigter Strickarbeit geschmückt, einige Stücke groß genug, um Wandteppiche genannt zu werden. Besonders einer, Fasane auf einer Herbst wiese mit den Gebäuden von Zeor im Hintergrund, sprach den Künstler in Valleroy an.
    Er las darin eine tiefe, beständige Ehrerbietung für Zeors Platz im Plan der Natur, und sein Blick kehrte immer wieder dorthin zurück, um tiefer in seine Bedeutung hineinzuforschen. Es kam Valleroy so vor, als hätte der Künstler Zeor mit einer Intensität geliebt, die viel zu groß war, um ausgedrückt werden zu können – schmerzhaft groß. Als er Evahnee danach fragte, erzählte sie ihm, daß es ein Bild von Zeor sei, angefertigt von einer Frau, die an einer unheilbaren Krankheit litt. Als Valleroy das Bild mit der Karte verglich, die Evahnee besorgte, stellte er fest, daß Zeor seit der Zeit dieser Künstlerin gewachsen war.
    Am vierten Morgen erwachte er und fühlte sich stark genug, die Beine vom Bett hinunterzuschwingen, zum Fenster zu torkeln und zwischen den Vorhängen hinauszuspähen. Er befand sich im ersten Stock eines dreigeschossigen Gebäudes, das Aussicht auf einen Hof bot. Auf der anderen Seite des Hofes fegte ein Gen Blätter zu einem Haufen zusammen, während ein Sime sie in einen großen Sack füllte.
    Eine Gruppe von Kindern platzte aus einer Tür heraus und verstreute sich über den Hof, verschwand in anderen Türen. Manche von ihnen schleppten mit einer ernsthaften Bestimmtheit Musikinstrumentenkoffer, halb so groß wie sie selbst. Sie trugen diese Lasten, als wären es erhabene Statussymbole, für geringere Sterbliche unantastbar. Die Szene beschwor Erinnerungen an andere Herbstzeiten herauf, die er damit verbracht hatte, aus anderen Fenstern auf sauber herausgeputzte Schulkinder hinunterzublicken. Die Glücklichen. Die Stille, die hinter ihnen erblühte, hallte immer lauter in Valleroys Ohren. Und plötzlich wußte er, daß er gleich ohnmächtig werden würde.
    Als seine Knie nachgaben, fingen Evahnees Arme sein Gewicht auf. Einen Moment später fand er sich im Bett wieder, er lag ausgestreckt da, zu erschöpft, um sich zu fragen, warum sie zufällig in genau diesem Augenblick hatte da sein können.
    Am nächsten Morgen zogen ihn die Stimmen der Kinder unwillkürlich zum Fenster, aber dieses Mal schaffte er es aus eigener Kraft zum Bett zurück. Zur Belohnung war es ihm gestattet, nach dem Mittagessen für eine Stunde aufrecht in einem Sessel zu sitzen.
    Am fünften Tag unternahm er regelmäßige Ausflüge ins Badezimmer und dies ohne jede Schwierigkeit, solange er seine Medizin rechtzeitig einnahm. Und als er am sechsten Morgen erwachte, fühlte er sich vollkommen normal, aber heißhungrig. Seine Tür stand wie gewöhnlich weit offen, und deshalb steckte er den Kopf in den Korridor hinaus.
    Der prächtige Mosaikboden funkelte wie frisch geschrubbt. Ein chemischer Geruch hing in der Luft. In Abständen zwischen büchergesäumten Nischen zeigten Schaukästen alles von Vor-Sime-Gebrauchsgegenständen bis hin zu von den Schulkindern angefertigten Modellen. Aber es war niemand in Sicht.
    Valleroy glitt in den Bademantel, den sie ihm gegeben hatten, und trottete den Flur entlang. Am Ende erweiterte er sich in einen türkisfarben ausgelegten Empfangsbereich gegenüber einem hohen, schmiedeeisernen Tor, so ähnlich wie der Eingang zu einer Geisteskranken-Station. Rechts von ihm zweigte ein anderer Gang ab, während linker Hand hohe, tief eingelassene Fensterschlitze Sonnenlicht auf den fröhlich aussehenden Mosaikboden sinken ließen.
    Auf halbem Weg den abzweigenden Gang entlang glitt eine Tür auf. Eine von Bediensteten umgebene Fahr-Bahre huschte an Valleroy vorbei. Als die Bediensteten das schmiedeeiserne Tor öffneten, erhaschte Valleroy einen Blick auf den
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