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Das Haus mit der grünen Tür

Das Haus mit der grünen Tür

Titel: Das Haus mit der grünen Tür
Autoren: Gunnar Staalesen
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Schwester. Meine Schwester ist das Problem. Margrete Veide.« Er sprach ihren Namen langsam aus, mit Betonung auf jeder Silbe, damit er sich mir auch gut einprägte. Das tat er. »Sie – Margrete und mein Vater – sie haben sich irgendwie zerstritten vor – ja, ungefähr fünf, sechs Jahren. Vater schmiß sie raus, und sie verließ Ålesund, ohne zu sagen, wohin sie fuhr. Ich wollte sie ausfindig machen, aber Vater verbot mir, irgend etwas zu tun. Laß die Hure fahren, sagte er. Sie ist es nicht wert. Er verbot uns, ihren Namen jemals wieder zu erwähnen.«
    »Ein altmodischer Vater«, sagte ich. »Aber trotz allem nicht ganz ungewöhnlich. Was war die Ursache für den Bruch?«
    Veide wiegte den Kopf hin und her. Seine Stimme war noch immer gedämpft, als hätte er Angst, jemand im Nachbarzimmer könnte hören, was er sagte. »Das Übliche. Männer. Sie kam abends spät nach Hause. Ab und zu – ab und zu blieb sie die ganze Nacht weg.«
    Ich nickte. Mir lag ein Witz auf der Zunge, aber mit einem Blick auf den Stapel Rechnungen und dem Gedanken an die fünfhundert verkniff ich ihn mir. Besonders gut war er auch nicht. Ich sagte: »Und Sie wollen, daß ich …«
    »Sie suchen. Ja. Wissen Sie, jetzt, wo er krank ist … Vater hat Gewissensbisse. Er will sie noch einmal sehen, bevor er stirbt. Um Entschuldigung bitten. Und wenn er erst tot ist, dann müssen wir sie ja sowieso benachrichtigen. Wegen des Erbes. Ich dachte …«
    Ich nickte. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, was er dachte. Ich sagte: »Aber Sie haben keine Ahnung, wohin sie gegangen ist? Haben Sie nie von ihr gehört? Und warum kommen Sie zu mir – nach Bergen?«
    »Tja, weil Bergen – das ist die einzige Spur, die ich habe. Vor zwei Jahren bekam ich plötzlich eine Karte von ihr, von hier. Sie schrieb kurz und knapp, daß sie jetzt ein paar Jahre hier gelebt hätte, und daß sie heiraten würde. Sie bat mich, Vater nichts zu erzählen und zu vergessen, daß sie überhaupt existierte. Durch die Heirat bekäme sie einen anderen Namen, eine neue Identität und ein ganz neues Leben, schrieb sie. Auf Wiedersehen und Gruß, Margrete.«
    »Haben Sie die Karte noch?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein. Ich habe sie verbrannt. Niemand bekam sie zu sehen. Nicht einmal meine Frau. Sie wollte es so. Margrete.«
    »Und sie gab keine Adresse an?«
    »Nein.«
    Ich sagte. »Tja. Das ist nicht gerade viel als Ausgangspunkt. Wann war diese Karte abgestempelt?«
    »Im August, vor zwei Jahren.«
    »Und seitdem haben Sie also nichts gehört?«
    »Nichts. Absolut nichts.«
    »Gut, wenn sie hier in der Stadt geheiratet hat, dann sollte es trotzdem nicht so schwer sein, sie zu finden. Aber ich möchte Sie warnen, Veide. Es kann dauern. Und dann wird es teuer.«
    »Das Geld ist nicht so wichtig. Mein Vater lebt nicht mehr lange.« Der Anflug eines Lächelns huschte über sein langes Gesicht. Diesmal verstand ich den Zusammenhang.
    Ich sagte: »Ich gehe davon aus, daß Sie ein Bild von Ihrer Schwester haben?«
    Er sagte: »Ja, ich habe ein paar mitgebracht.« Er zog einen braunen Umschlag aus einer Jackentasche und gab ihn mir. »Sie sind ein paar Jahre alt, aber ich vermute, daß sie sich nicht sehr verändert hat.«
    »Wie alt ist sie?«
    »Sie ist – äh – achtundzwanzig.«
    »Und als sie von zu Hause wegging?«
    »Zweiundzwanzig.«
    Ich öffnete den Umschlag und schüttelte vier schwarzweiße Amateurfotos heraus. Ich legte die vier Bilder nebeneinander auf den Schreibtisch und betrachtete sie. Dann hob ich den Blick wieder zu Veide. Ich sah ihn scharf an. Er strich sich mit der rechten Hand über den Haaransatz und das glatte Haar. Sein Blick war nervös. Ich sagte: »Soll das hier etwa ein Witz sein?«
    »Äh – ein Witz? Was meinen Sie?« Er sah verständnislos drein.
    Ich sah wieder auf die Bilder. Vier Bilder. Eins davon zog sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. Darauf kniete sie irgendwo auf einem Felsen. Im Hintergrund sah man das Meer und ein kleines Motorboot, das in einer Bucht vertäut lag. Sie trug einen Bikini, und es war das Jahr, in dem am Stoff gespart wurde. Sie saß mit leicht vorgebeugtem Oberkörper und sah lächelnd zum Fotografen auf. Sie schien sich nicht gerade häßlich zu fühlen. Das fand ich auch nicht. Die drei anderen Bilder waren weniger beeindruckend. Zwei waren Nahaufnahmen ihres Gesichts: gute und natürliche Nahaufnahmen. Sie war schön, aber ohne Ausdruck. Das vierte war ein gestelltes Bild, auf dem sie in einem langen Kleid mit
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