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Das Haus in Georgetown

Das Haus in Georgetown

Titel: Das Haus in Georgetown
Autoren: Emilie Richards
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Tag.
    An diesem Tag . Nicht in dieser Nacht . Es war Tag, auch wenn kein Licht ins Haus drang. Sie näherte sich dem Ziel, aber nicht schnell genug. Der unsichtbare Musiker begann eine temperamentvolle Polonaise, Liszt oder Chopin. Sie hatte auf einen Walzer gehofft, eine Nocturne, irgendetwas, das die Geräusche von oben nicht übertönen würde. Sie lauschte zwischen den Phrasen, während ausgedehnter Fermaten, und betete, dass sie zwischen den musikalischen Themen jenen einen Laut vernehmen würde, nach dem sie sich am meisten sehnte.
    Aber es gab wenig Pausen und keine Geräusche aus dem Obergeschoss.
    Sie nahm eine weitere Stufe. Etwas – jemand – streifte sie und hätte sie um ein Haar wieder in die Leere zurückgerissen. Sie warf sich nach vorn und taumelte heftig, und gerade als sie ihr Gleichgewicht wiedergefunden hatte, endete die Musik.
    Auf dem Boden, knapp unter ihr, lachte jemand. Ein schreckliches, dämonisches Gelächter, dann das Jammern eines Säuglings. Ein dünnes, durchdringendes Gewimmer, gefolgt von der tiefsten Stille, die man sich vorstellen kann.
    Sie versuchte dem Weinen zu folgen. Sie versuchte, um Hilfe zu rufen. Und als sie es tat, erwachte sie – wie immer.
    „Hey, die Ampel steht schon ewig auf Grün, Großmutter.“
    Albträume können eine Frau auch im Wachzustand überfallen, und Lydia war wieder einmal nicht genügend auf der Hut gewesen. Sie trat aufs Gas und schoss auf die Kreuzung, als die Ampel gerade auf Gelb sprang. „Ich kann sehr wohl ohne deine Hilfe fahren, Alex.“
    „Na ja, du hast nicht aufgepasst. Und Remy sagt nie was. Sie will, dass ich den Ärger kriege.“
    Lydia war durch den Albtraum und das Ereignis, aus dem er sich speiste, ein anderer Mensch geworden. Toleranz und Geduld waren ihr zur gleichen Zeit wie ihre Energie abhanden gekommen, aber meistens gelang es ihr, das zu kaschieren. Sie konnte Gettoschulen besuchen, spontane Dinnerpartys für fünfzig Leute geben und glaubhaft versichern, ihr Ehemann sei ein Gottesgeschenk für den Senat der Vereinigten Staaten. Aber an den Menschen, die sie eigentlich lieben sollte, fand sie keinen Gefallen und keine Freude. Wenn sie sich um ihre Enkel kümmern musste, was die meisten Großmütter nur zu gerne tun, fühlte sie sich so wohl wie in einem Löwenkäfig.
    Als sie den Mercedes in die schmale Gasse lenkte, in der Faith wartete, blaffte sie ihren Enkelsohn noch einmal an. „Ich dulde keine weiteren Unverschämtheiten, Alex. Ich habe genug gehört. Deine Schwester will nur ihre Ruhe haben.“ Genau wie ich, fügte sie im Stillen hinzu.
    „Du bist immer auf ihrer Seite.“
    „Auf ihrer Seite wird wenigstens nicht geboxt und geschubst.“
    „Ich habe sie nicht angerührt.“ Pause. „In letzter Zeit nicht.“
    Alex war zumindest aufrichtig, das musste sie ihm zugestehen.Sie schaute kurz über die Schulter und betrachtete das rote Wuschelhaar und das breite Gesicht ihres Enkelsohns, der momentan recht missmutig dreinblickte. „Willst du nach Hause laufen ? Du bist auf dem besten Wege.“
    Er erwiderte nichts. Für den Augenblick zumindest hatte sie gewonnen.
    Lydia hielt neben ihrer Tochter an und entriegelte die Tür. Faith’ dunkelblondes Haar schimmerte in der Sommersonne und reichte ihr fast bis auf die Schultern. Sie war blass, hielt sich aber – wie man es ihr als Mädchen beigebracht hatte – gerade wie ein Fahnenmast, und als sie einstieg, brachte sie ihren Kindern zuliebe ein Lächeln zu Stande.
    Sie war wohl erzogen, eben ganz Lydias Tochter.
    „Hi, ihr beiden. Hattet ihr einen guten Tag?“ Faith drehte sich zu ihnen um.
    „Als ob das möglich wäre“, antwortete Remy.
    Lydias vierzehnjährige Enkeltochter sah Faith – und damit auch Lydia – ziemlich ähnlich. Remy war zierlich und blond, hatte eine makellose Haut und gerade Zähne, womit sie sich von einigen ihrer Freundinnen deutlich abhob. Lydia hoffte, dass Remy mit diesem gottgegebenen Vorsprung klug umging.
    „Und du, Alex?“ fragte Faith.
    „Ich darf nichts sagen!“
    Faith warf ihrer Mutter einen raschen Blick zu. „Und der Grund dafür wäre ...?“
    „Weil er nichts mitzuteilen hat, was wir hören wollen.“
    „Wie lange ist er schon im Wagen eingepfercht?“
    Lydia schaute ihre Tochter warnend an. „In einem Mercedes auf Einkaufsfahrt zu gehen kann man nun nicht gerade als ,eingesperrt sein‘ bezeichnen.“
    „Alex, halt durch“, wies Faith ihren Sohn an. „Wir sind bald zu Hause.“
    „Du verwöhnst ihn“, meinte
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