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Das Haus der toten Mädchen

Das Haus der toten Mädchen

Titel: Das Haus der toten Mädchen
Autoren: Anne Stuart
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Mädchen, das er letzte Nacht gehalten, das Mädchen, dessen Blut seine Hände befleckt hatte.
    Und er musste weinen.

1. KAPITEL
    S ie hätte gerne die Welt gerettet. Es gab nur einen Haken an der Sache: Niemand wollte ihre Hilfe. Sophie versüßte sich diese bittere Erkenntnis, indem sie sich einen halben Blaubeermuffin in den Mund schob.
    Die Küche der Stonegate-Farm war leer. Sophie ließ sich auf einem Hocker nieder, zog den weichen Chintz-Rock etwas hoch, der ihre Beine umspielte, und verdrückte den Rest des Muffins, was sich als gar nicht so leicht erwies – war es doch einer dieser gemeinen übergroßen, die genügend Fett enthielten, um die Adern einer vierköpfigen Familie zu verstopfen. Sie glaubte fest an die Lehre, dass Kalorien, die man sich allein und unbeobachtet zuführte, nicht ansetzten. Vom Frühstück waren drei Muffins übrig geblieben, und nun langte sie nach dem zweiten.
    Sonst war ja niemand da, der Anspruch auf sie erhoben hätte. Ihre Mutter Grace aß kaum genug, um am Leben zu bleiben, und wenn ihre Halbschwester Marty sich endlich aus den Federn quälte, verlangte sie ausschließlich nach Kaffee und Zigaretten.
    Das mit den Zigaretten konnte Sophie gut nachempfinden. Sie hatte das Rauchen vor vier Monaten aufgegeben, und was war der Dank? Sieben Kilo hatte sie zugelegt, gut verteilt über ihre ohnehin schon üppige Figur. Und es verging kein Tag, an dem sie sich nicht nach einem Zug sehnte.
    Sie zerteilte den zweiten Muffin und legte in der vergeblichen Hoffnung, so der Versuchung widerstehen zu können, eine Hälfte auf den englischen Steingutteller zurück. Zucker und Butter waren zwar ein ganz passabler Nikotinersatz, hatten aber leider erhebliche körperliche Nebenwirkungen. Die Zigaretten hatten ihre Lungen geschwärzt, aber wer sah schon ihre Lungen? Wenn sie so weitermachte, würde sie bald aus Kleidergröße 42 hinaus- und in 44 hineinwachsen. Zum Trost führte sie sich rasch noch die zweite Hälfte zu Gemüte.
    Sie musste ihr Leben wieder in den Griff bekommen. Das erste Geschäftsjahr würde naturgemäß das schwierigste werden, aber die Stonegate-Farm war das ideale Landgasthaus, und an Energie und Enthusiasmus mangelte es Sophie nun wirklich nicht. Jahrelang hatte sie sich vor allem theoretisch mit Innenausstattung und Backen und dergleichen beschäftigt, um die Kolumnen zu füllen, die sie an mehrere Zeitungen verkauft hatte, um damit ihre kleine Wohnung in New York zu finanzieren. Marty hatte sie die Martha Stewart der armen Frauen genannt, was bei Sophie glatt als Kompliment durchgegangen wäre, wenn Marty dabei nicht spöttisch gegrinst hätte.
    Und jetzt hatte sie dieses Farmhaus aus dem frühen neunzehnten Jahrhundert am Rande des Northeast Kingdom in Vermont, ein Traumhaus für einen Traumberuf. Das alte Haus war weitläufig und verschachtelt, es hatte ein halbes Dutzend Schlafzimmer und einen weiteren Flügel an der Rückseite, den man vielleicht noch retten und in weitere Gästezimmer verwandeln konnte. Alles hatte so einfach ausgesehen – also hatte sie ihr Hab und Gut und ihre Seele verpfändet und Marty und Grace hierher mitgenommen.
    Nicht, dass Grace davon besonders angetan gewesen wäre. Sie war nie der bodenständige Typ gewesen, aber seit ihrer letzten Brustkrebsoperation war sie erschreckend schwach, und zum ersten Mal hatte sie sich eingestehen müssen, dass sie Hilfe brauchte. Also war sie den beiden widerwillig gefolgt, nicht ohne zu betonen, dass sie ihren nomadischen Lebensstil wieder aufnehmen würde, sobald sie wieder bei Kräften sei. Jetzt, vier Monate später, wusste Sophie, dass es dazu nicht mehr kommen würde.
    Diesmal war es nicht der Krebs. So wie es ausschaute, hatte Grace diesen zweiten Rückfall glänzend überstanden. Aber in den letzten Monaten hatte ihr Gedächtnis dramatisch nachgelassen. Eine besonders tiefsinnige Denkerin war Grace nie gewesen: Martys und Sophies gemeinsamer Vater hatte sie oft – teils hämisch, teils zärtlich – als „Gracey vom anderen Stern“ bezeichnet. Aber ihr momentaner Zustand war ernst genug, um Sophie Sorgen zu bereiten.
    Nicht, dass sie irgendetwas tun konnte. Auch Doc – ihr bester Freund und Vertrauter, seit sie hierher gezogen waren – hatte nur den Kopf geschüttelt. „Ich weiß nicht, ob sie kleine Schlaganfälle hat oder eine früh einsetzende Alzheimer-Demenz“, hatte er gesagt. Eine Untersuchung im Krankenhaus hatte Grace strikt abgelehnt, und Doc vertrat die Meinung, dass man das immer
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