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Das Haus der toten Mädchen

Das Haus der toten Mädchen

Titel: Das Haus der toten Mädchen
Autoren: Anne Stuart
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noch nachholen konnte, wenn es schlimmer wurde.
    Marty, mit typischem Teenagercharme, fand alles, was mit dem Gasthaus zu tun hatte, einfach nur blöd – einschließlich des Umstandes, dass sie im Haus helfen sollte. Ihre ältere Schwester fand sie ganz besonders blöd, aber das war nichts Neues. Und Grace wurde – obwohl sie eigentlich noch zu jung war, um senil zu werden, immer schusseliger, so dass sie wie eine unheimliche Fremde durch ihr Leben geisterte. Marty ließ das kalt. Schlimm genug, dass Sophie sie ans Ende der Welt verschleppt hatte – warum war es auch noch nötig gewesen, die alte Schachtel aufzunehmen? War dieses Kaff nicht schon Folter genug?
    Sophie beäugte den letzten Muffin. Wenn sie auch diesen dritten noch äße, würde ihr schlecht werden – nicht sofort, aber früh genug. Egal, sie wollte diesen Muffin, und niemand würde es sehen.
    Als sie gerade nach ihm griff, hörte sie vor der Tür ein Geräusch und zog die Hand zurück. Ertappt.
    Grace spazierte in die Küche. Ihr hagerer Körper steckte in Kleidungsstücken, die nicht zueinander passten, und sie hatte ihre zerknautschte Strickjacke falsch zusammengeknöpft. Grace, die immer so stolz auf ihre Designerklamotten und ihre makellose Frisur gewesen war … Sie war erst sechzig, wirkte aber zwanzig Jahre älter. Marty kam hinter ihr her und schien mal wieder verstimmt zu sein.
    „Ich habe Muffins gebacken“, erklärte Sophie fröhlich. Sie ging darüber hinweg, dass nur ein einziger übrig war.
    „Wie schön, Liebes“, antwortete Grace mit sanfter Stimme. Sie hatte versucht, ihr langes, ergrauendes Haar zu einem Dutt zusammenzustecken, aber zahlreiche Strähnen fielen ihr auf die Schulter, und Sophie ahnte, dass die ganze Konstruktion sich im Handumdrehen auflösen und Grace dann noch verwahrloster aussehen würde. „Ich glaube, ich nehme nur einen Kaffee.“
    „Du musst etwas essen, Mama“, mahnte Sophie. „Du weißt, was Doc gesagt hat.“
    Grace blieb stehen und schaute sie an. In ihren blauen Augen lag ein seltsamer Ausdruck. „Glaub nicht alles, was man dir sagt, Sophie. Bei manchen Leuten trügt der Schein.“
    „Ich glaube nicht …“, setzte Sophie an, ohne sich von Grace’ zunehmender Paranoia aus der Ruhe bringen zu lassen, aber ihre Mutter hatte sich bereits eine Tasse Kaffee eingeschenkt, Sophie und ihrer Schwester den Rücken zugekehrt und sich davongemacht.
    Marty lief wortlos zur Kaffeemaschine hinüber.
    „Auch dir einen guten Morgen.“ Kaum dass sie es ausgesprochen hatte, hätte Sophie sich ohrfeigen mögen: Sarkasmus half bestimmt nicht weiter.
    Marty würdigte sie keines Blickes. Sie goss sich Kaffee ein, nahm einen großen Schluck und behandelte Sophie demonstrativ wie Luft.
    „Hast du die neuen Handtücher in die Wäschekammer gelegt?“ Sophie versuchte, einen unbeschwerten, neutralen Ton anzuschlagen. Marty bekam oft harmloseste Bemerkungen in den falschen Hals, und Sophie bemühte sich, ihr möglichst wenig Grund zur Aufregung zu bieten.
    Marty wandte die Augen nicht vom Kreuzworträtsel, in das sie sich vertieft hatte. Diese Woche trug sie ihre kurze Igelfrisur schwarz und hatte fuchsienrote Strähnchen einfärben lassen. Wenn sie zur nächsten Phase übergehen wollte, müsste das Haar zunächst gebleicht werden. Früher oder später würde sie gar keine Haare mehr haben; eine Aussicht, die bei Sophie gemischte Gefühle hervorrief. Wenigstens würden nicht allzu viele böse Jungs scharf darauf sein, eine kahlköpfige Siebzehnjährige zu schwängern. „Dein Wunsch ist mir Befehl – wie immer“, gab Marty feindselig zurück.
    Sophie seufzte und unterdrückte ihre Enttäuschung. „Ich brauche deine Hilfe, Marty. Du musst deinen Teil dazu beitragen, dass der Laden läuft, sonst schaffen wir es nicht. Der Sommer geht zu Ende, und du weißt, dass wir im Herbst öffnen müssen, um noch dieses Jahr einen Teil der Renovierungskosten wieder reinzuholen. Ich habe schon Reservierungen für den September …“
    „Was habe ich damit zu tun? Es war deine Idee, mich mitten ins Nichts zu verpflanzen, weit weg von meinen Freunden. Ich interessiere mich nicht fürs Hotelgewerbe, ich bin nicht scharf darauf, mit dir und der verrückten alten Schachtel in der tiefsten Provinz festzusitzen, und ich habe keine Lust, dir zu helfen.“
    Nur gut, dass Sophie den dritten Muffin nicht gegessen hatte: Der zweite sorgte bereits für Aufruhr in ihrem Magen. „Diese verrückte alte Schachtel ist meine Mutter“, erwiderte
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