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Das Haus der toten Mädchen

Das Haus der toten Mädchen

Titel: Das Haus der toten Mädchen
Autoren: Anne Stuart
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Eröffnung, und Sophies Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Für den Altweibersommer mit seinen spektakulären Laubfarben lagen Buchungen für alle Zimmer vor, und wenn es ihr gelang, das durchzustehen, hätte sie das Schlimmste hinter sich. Oder?
    Sie stellte sich an der Spüle vor das Kassettenfenster und blickte auf den See hinab, dessen kühle Reglosigkeit sie unwiderstehlich anzog.
    Sie wusste, dass sie längst hätte an die Arbeit gehen sollen, aber heute fiel es ihr schwer, sich aufzuraffen. Es war ein schöner Spätsommermorgen – die Fenster standen offen, eine sanfte Brise wehte durch den Raum, und das Rascheln und Wispern der Zuckerahornbäume erfüllte die Luft. Seit sie vor sechs Monaten nach Vermont gekommen waren, hatte sie nur geschuftet – verdiente sie da nicht einen freien Tag? Einen Tag, an dem sie herumliegen, Kreuzworträtsel lösen und Zigaretten rauchen konnte, wie Marty es jeden Tag tat, wenn Sophie sie nicht auf Trab hielt?
    Vergiss es, keine Zigaretten mehr. Im Grunde hätte sie sich am liebsten mit einem Stapel Kochbücher in eine Hängematte verkrümelt und noch einen Muffin gegessen …
    Den letzten hatte sie verdrückt, ohne es überhaupt zu bemerken. Nur gut, dass sie locker sitzende Kleidung bevorzugte, die eine Menge kleiner Sünden kaschierte. Ihre dürre kleine Schwester hingegen zeigte gerne so viel Haut wie möglich.
    Einen warmen Sommertag in der Hängematte zu vertrödeln kam nicht in Frage, nicht für sie, nicht diesen Sommer. Vielleicht würde sie sich nächstes Jahr, wenn das Gasthaus gut lief und sie sich mehr Hilfskräfte leisten konnte, hin und wieder einen freien Tag gönnen und das friedliche Landleben genießen, von dem sie ihr Leben lang geträumt hatte. Im Augenblick blieb ihr nichts anderes übrig als weiterzuarbeiten, um das Haus auf die Invasion der Gäste in zwei Wochen vorzubereiten. Damit nicht genug: Am Freitag musste ihre Kolumne fertig sein, und sie hatte den Text noch nicht einmal angefangen.
    Wahrscheinlich wäre sie gut beraten, das Schreiben aufzugeben, aber sie brachte es nicht über sich. Schließlich rief ihr die Kolumne „Briefe von der Stonegate-Farm“, die sie für die kleine Zeitschrift „Long Island Magazine“ verfasste, immer wieder in Erinnerung, dass sie tatsächlich ihren Traum verwirklichte. Jahrelang hatte sie gelangweilten Hausfrauen erklärt, wie man Nudeln selber macht, ausrangierte Milchkannen zu eleganten Pflanzgefäßen umfunktioniert und eine Neubauwohnung in ein gemütliches Landhaus oder ein orientalisches Märchen verwandelt, und jetzt konnte sie all das endlich in die Praxis umsetzen. Und schon bald würde sie eine dankbare Anhängerschaft haben, die ihre Aktivitäten besser zu schätzen wusste als ein missmutiger Teenager und eine Mutter, die kaum noch etwas mitbekam.
    Der Tag würde wärmer werden, als es hier Mitte August üblich war. Die Sonne stand bereits hoch am Himmel, und Sophie schob die Ärmel ihres Kleides bis zu den Ellbogen hoch. Vielleicht sollte sie zumindest einen kurzen Spaziergang zum Seeufer machen, um den letzten Rest Stille in sich aufzusaugen. Hier, am Nordufer des Sees, war es selbst im Hochsommer relativ ruhig und abgeschieden. Das einzige andere Haus war das alte Whitten-Cottage, das seit Jahren leer stand. Alles andere gehörte zu Sophies Grundstück, auf dem sich auch einige Nebengebäude befanden, darunter eine verfallene Scheune und mehrere baufällige Hütten. Da diese nicht mehr zu retten waren, würde sie sie abreißen lassen, sobald sie es sich leisten konnte. Irgendwann würde das Ganze ein vollkommenes Paradies voller zufriedener zahlender Gäste sein. Im Augenblick war es eine Oase der Stille inmitten des Sommergewimmels.
    Die Frage, ob sie wirklich Urlauberhorden hierher locken wollte, verbot sich. Es gab keinen anderen Weg, ihr Leben an diesem Ort zu finanzieren, und sie bemühte sich stets, realistisch zu bleiben. Wenn sie fremde Leute umsorgen musste, um auf dem Land leben zu können, dann wollte sie diesen Preis gerne bezahlen. Außerdem würden Fremde ihre Fürsorglichkeit wahrscheinlich besser zu würdigen wissen.
    Sie stieß die Tür auf und ging über den abschüssigen Rasen zum See hinunter. Sofort fiel die Anspannung von ihr ab. Das Wasser war ruhig und dunkel, die fieberhaften Aktivitäten am Südufer schienen es nicht zu berühren. Der Still Lake war ein großes, gewundenes Gewässer, und wenn man an seinem Nordufer stand, konnte man meinen, es gebe nichts außer der
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