Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Haus der toten Mädchen

Das Haus der toten Mädchen

Titel: Das Haus der toten Mädchen
Autoren: Anne Stuart
Vom Netzwerk:
antworten. Es war Marty, die ihre Sprache als Erste wiederfand. „Er ist hin“, sagte sie. „Getoastet. Unten im Keller. Und kommen Sie bloß nicht auf die Idee, ihn rauszuholen. Er ist ein Mörder.“
    „Das hatte ich auch nicht vor“, entgegnete Griffin. Er streckte sich auf dem Gras aus und versuchte, wieder zu Atem zu kommen.
    „Er hat sie umgebracht“, stieß Sophie nach einer Weile hervor. „Er hat sie alle getötet.“
    Langes Schweigen. „Ich weiß“, erwiderte er.
    Sophie hob den Kopf, um ihn im orangefarbigen Widerschein des Feuers anzuschauen. „Und wann wolltest du mir das mitteilen?“ blaffte sie ihn an.
    „Ich bin gerade erst dahintergekommen.“
    Grace’ Gegacker klang völlig anders als das undeutliche Lachen der letzten Zeit. Es erinnerte mehr an die Grace von früher. „Hat ja lang genug gedauert“, meinte sie. „Ich weiß es schon seit Monaten. Jeder, der True-Crime-Storys liest, hätte das herausgefunden.“
    Sophie hob wieder den Kopf und blickte ihre Mutter an. „Du wusstest es? Und warum hast du mir nichts gesagt?“
    „Ich habs versucht. Du warst der Meinung, ich sei nicht bei Trost. Also dachte ich mir, solange ich Doc mit meiner Senilität mit Beschlag belege, hat er keine Gelegenheit, an dich und Marty heranzukommen. Das ist nicht lange gut gegangen, aber ich hätte euch nicht überreden können, hier abzuhauen, ohne euch einzuweihen, und dann wärst du zu deinem guten Freund Doc marschiert und hättest ihm alles brühwarm erzählt.“
    Und genau das hatte sie tatsächlich ein paarmal getan. Sie öffnete gerade den Mund, um etwas zu erwidern, um sich zu entschuldigen oder ihre Mutter anzuschreien, als die ersten Feuerwehrwagen aus Colby die Auffahrt entlangfuhren und der kleine Haufen freiwilliger Feuerwehrleute sich wohlkoordiniert an die Arbeit begab. Einen Augenblick später traf auch das Rettungsteam ein, und der Strahl eines Suchscheinwerfers erfasste die kleine Gruppe am Seeufer, und dann wurde es sehr unruhig, weil plötzlich jede Menge Helfer darauf bestanden, sie zu untersuchen.
    Letzten Endes wurde nur die erstaunlich klarsichtige Grace zur weiteren Beobachtung in ein Krankenhaus gebracht. Ihre vermeintliche Alzheimererkrankung war wie weggeblasen. Sie hatte alles nur vorgetäuscht, um ihre Familie zu beschützen. Das war zwar gründlich schief gegangen, aber zumindest ihre überzeugende schauspielerische Leistung musste Sophie widerwillig bewundern.
    Patrick Laflamme war kurz nach den Feuerwehrleuten eingetroffen, und Sophie hatte nichts einzuwenden gehabt, als er Marty mitnahm. Er war solide und vernünftig, und wenn er irgendwelchen Unfug versuchen sollte, würde seine Mutter dem einen Riegel vorschieben. Madelene Laflamme war eine ziemlich Ehrfurcht gebietende Gestalt, und wenn überhaupt jemand Marty Manieren beibringen konnte, dann sie.
    Sie entdeckte Griffins Silhouette vor den Flammen ihres brennenden Hauses. Es war zu spät. Die freiwillige Feuerwehr konnte die alte Zunderbüchse nicht retten. Sie konnte nur versuchen, ein Übergreifen des Feuers auf die Vegetation zu verhindern, aber der Sommer war recht verregnet gewesen, so dass wenig Gefahr bestand, dass die hohen Kiefern sich in Fackeln verwandelten.
    Sophie saß auf einem der Adirondack-Stühle und schaute zu, wie ihr Traum in Rauch aufging. Sie hätte sich niedergeschmettert fühlen oder heulen sollen oder da oben nach einem Feuerwehrschlauch greifen und die Männer anflehen sollen, es doch noch einmal zu versuchen. Aber sie rührte sich nicht vom Fleck.
    Sie hatte heute Nacht einen Mann getötet. Einen irrsinnigen Alten, der unfassbare Verbrechen begangen hatte, aber doch ein menschliches Wesen. Sie hatte ihn niedergeschlagen und zurückgelassen, so dass er in jenem Scheiterhaufen verbrannt war, den er für sie errichtet hatte.
    Sie hatte sich heute Nacht verliebt: in den falschen Mann, zur falschen Zeit, an einem völlig unmöglichen Ort. Sie konnte nur hoffen, dass es ihr gelang, diese Flausen aus ihrem Kopf zu verbannen.
    Sie hatte ihren Traum in Flammen aufgehen sehen. Sie hatte kein Zuhause, keine Arbeit, keine Zukunft. Sie hätte am Boden zerstört sein müssen. Stattdessen war sie beinahe beschwingt. Sie fühlte sich befreit.
    War sie frei genug, um Thomas Griffin zu entkommen? Oder hatte sie nur eine Art von Fessel gegen eine andere eingetauscht?
    Sie lehnte sich gegen die Holzleisten und schloss die Augen. Die Hitze des Feuers wärmte ihren Körper wie die Mittagssonne. Sie entwickelte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher