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Das Haus der toten Mädchen

Das Haus der toten Mädchen

Titel: Das Haus der toten Mädchen
Autoren: Anne Stuart
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alles in Ordnung war. Sie würde nur nach Grace schauen, um sicher zu sein, dass sie ruhig schlief, dann duschen und ins Bett gehen. Und eine angemessene Strafe für diesen verlogenen, gefühllosen Scheißkerl ersinnen, in den sie sich verliebt hatte.
    Kaum dass dieser Gedanke in ihr Gestalt angenommen hatte, verwarf sie ihn wütend. Wenn das Liebe war, wollte sie absolut nichts damit zu tun haben. Es war weiter nichts als gesunder, normaler Sex, es hatte rein gar nichts zu bedeuten, und sie müsste schon von allen guten Geistern verlassen sein, um sich irgendwelchen albernen romantischen Fantasien über eine gemeinsame, idyllische Zukunft mit diesem verlogenen, muffeligen Schwein hinzugeben, ganz gleich, wie sehr sie an ihm hing. Da waren ihre Mordfantasien allemal gesünder. Auf einen Mord mehr oder weniger kommt es in Colby ohnehin nicht mehr an, dachte sie, als sie die Küchentür erreichte. So etwas war hier ja an der Tagesordnung. Vielleicht würden die sprechenden Blumen das für sie erledigen.
    Sie stieß die Tür auf, knipste das Licht an und erstarrte. Da stand Doc, mit Staub und Spinnweben überzogen, und guckte sie verzweifelt an.
    „Es ist Grace!“ schrie er. „Sie ist verschwunden. Ich weiß nicht, wie sie das geschafft hat, aber ich glaube, sie ist im alten Krankenhaustrakt. Ich habe sie gesucht, aber es gibt dort kein Licht, und vielleicht versteckt sie sich regelrecht. Sie scheint zu glauben, dass ich ihr etwas antun will.“
    Panik breitete sich in ihr aus und ließ sie ihre kühnen Rachepläne schlagartig vergessen. „Wo ist Marty? Sie kann uns helfen …“
    „Sie ist noch nicht von ihrer Verabredung zurück.“
    „Gottverfluchtes Biest!“ brach es aus Sophie heraus. Doc zuckte zusammen, und sie überlegte, ob sie sich für ihre Ausdrucksweise entschuldigen sollte, aber irgendwie war ihr nicht danach. „Haben Sie Hilfe gerufen?“
    Er nickte. „Die Polizei ist auf dem Weg, um uns suchen zu helfen. Sie waren allerdings drüben in Hampstead und werden eine ganze Weile brauchen. Ich gehe jetzt wieder da rein; vielleicht habe ich diesmal mehr Glück.“
    „Ich begleite Sie“, kündigte sie an.
    „So wie Sie sind?“ Doc betrachtete ihre nackten Füße und ihre verdreckte, zerrissene Zigeunerkleidung.
    „Ich glaube nicht, dass meine Mutter sich darum schert, wie ich aussehe“, erwiderte Sophie barsch und bereute es sofort. Es gab keinen Grund, Doc so anzufahren.
    „Ich meine Ihre Füße. Da liegen überall Glasscherben herum und Bretter mit Nägeln. Sie sollten wirklich Schuhe anziehen.“ Ihr harscher Tonfall schien ihn nicht verletzt zu haben, und sie atmete einmal tief durch. Das war genau das, was in so einer Krise Not tat: Docs Ruhe und seine Vernunft.
    „Okay“, sagte sie. „Ich bin gleich wieder da.“
    Sie steckte ihre Füße in die Gummistiefel, die immer vor der Küchentür standen, und lief dann ins Wohnzimmer. „Sekunde noch!“ rief sie. „Ich hole nur die Taschenlampe.“
    „Schnell“, drängte Doc; er klang tief besorgt.
    Wieso tat sie das bloß? Sie war doch wütend auf Griffin und brauchte seine Hilfe nicht. Sie nicht – aber ihre arme, verwirrte Mutter war jetzt auf jede Hilfe angewiesen, die sie kriegen konnte. Sie nahm den Hörer vom Nebenapparat und fing an zu wählen.
    Die Leitung war tot. Sie schaute zur Fußleiste hinunter, um zu überprüfen, ob jemand versehentlich den Stecker aus der Buchse gerissen hatte. Die Schnur hing lose auf den Boden, der Plastikstecker war zerdrückt.
    „Beeilung!“ Doc schien allmählich ungeduldig zu werden.
    Als sie mit einer riesigen Profistablampe in der Hand in die Küche zurückkehrte, fiel ihr Blick auf die Vase mit den gelben Blumen auf dem Tisch. Die Lampe war furchtbar schwer, aber ihr Strahl war hell wie ein Leuchtfeuer. Die Tür zum leeren Flügel stand offen, die Tür, die sie eigenhändig versperrt hatte. Grace konnte sie nicht selbst geöffnet haben. Es hatte Sophie all ihre Kraft gekostet, sie zuzunageln.
    Sie betrachtete kurz Docs freundliches, sorgenvolles Gesicht. Sie wusste jetzt, wo sie diese Blumen schon mal gesehen hatte: auf den Gräbern der ermordeten Frauen. Und sie mussten von Doc stammen. Bald würden sie auch auf ihrem Grab liegen, wenn sie nicht schnell etwas unternahm.
    Sie wollte davonlaufen. Sie war im Vorteil: Sie stand näher an der Tür als er, und sie konnte schneller rennen. Vielleicht war sie sogar stärker als er, aber darauf wollte sie es lieber nicht ankommen lassen. Für einen Mann
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