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Durchgebrannt - Roman

Durchgebrannt - Roman

Titel: Durchgebrannt - Roman
Autoren: Kristina Dunker
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1
    Der Schokonusskranz riecht lecker wie immer. Sein Duft erfüllt die ganze Küche und wird noch intensiver, als ich mir ein Stückchen herausbreche. Diesen glasierten Gugelhupf zu backen war lächerlich von meiner Mutter. Als ob wir einen Geburtstag wie jeden anderen feierten. Wahrscheinlich will sie der Verwandtschaft zeigen, dass uns die gute Laune nicht ausgeht. Mir ist die schon lange vergangen. Ich finde, eine Kuchenruine passt viel besser zu uns.
    »Lass das Naschen, zieh dich endlich an.« Meine Mutter ist in Hektik: Sie durchsucht die Küchenschubladen, reißt sich dabei einen Knopf am Blusenärmel ab -- »Verflixt!« -- und reicht mir eine Plastikschachtel. »Die müssen auch mit.«
    Kerzchen: rosa, gelb, himmelblau und zum Aufstecken auf den Kuchen gedacht. Ich krieg 'ne Krise.
    »Mama! Sarah wird
achtzehn
.« Meine Mutter macht Sarah neuerdings oft jünger, als sie ist. Meine vier Jahre ältere Schwester ist jetzt »die Kleine«, ich bin »unser Großer«. Anfangs fand ich das okay, mittlerweile weiß ich, dass es nur bedeutet, ich soll mich gefälligst wie ein Erwachsener benehmen.
    »Dieser Babykram ist peinlich«, sage ich etwas lauter, denn meine Mutter hat mal wieder ihre Ohren auf Durchzug gestellt. »Hast du gehört?« Ich klinge auch schon wie ein Erwachsener. Das müsste ihr doch gefallen.
    Endlich dreht sie sich zu mir um. »Mag sein, dass du das so siehst. Aber Sarah wollte noch mal einen richtigen Geburtstag. Mit allem Drum und Dran. So wie früher.«
    Quatsch. Sarah hatte ganz andere Wünsche für ihren Achtzehnten: Am Abend vorher im
Rockpalast
reinfeiern und am nächsten Tag, heute, dem Samstag vor Pfingsten, mit mir und den Freunden aus dem Sportverein ins Zeltlager an die Nordsee fahren. Das ist
das
Ereignis des Jahres. Darauf hatten wir uns seit Monaten gefreut. Eine Weile sah es auch so aus, als ob Sarah mitkommen könnte. Sie hatte sich sogar schon von unserem Trainer einen extrawarmen Schlafsack ausgeliehen, ein Überlebensteil, mit dem man angeblich sogar am Nordpol hätte zelten können. Und mit ihrer Freundin Anna hatte sie einen ganzen Nachmittag nur darüber diskutiert, welche Mädchen mit ihnen im Zelt schlafen sollten.
    Ich will meiner Mutter unter die Nase halten, dass Sarah also ganz sicher kein Kindergeburtstagsfest mit Kerzenausblasen und Tantentreffen wollte, aber ich schaff's nicht, denn ich schlucke schwer an dem »noch mal«. Auch das höre ich in letzter Zeit öfter.
    »Sarah will noch mal ins Fußballstadion.«
    »Sarah will noch mal bei
Da Luigi
Lasagne essen.«
    »Sarah will noch mal zum Theaterfestival.«
    Ich weiß nicht, ob die anderen das nicht merken? Was soll denn dieses »noch mal«? Im Klartext kann es doch nur heißen: »noch ein letztes Mal«. Die Worte scheinen nur so dahingesagt. Jeder sagt das mal. Aber bei uns deuten sie auf das mögliche Ende. Sarah ist sehr krank. Wir müssten damit rechnen, dass Sarah sterben könnte, haben uns ihre Ärzte in der Uniklinik gesagt, die Heilungschancen stünden fifty-fifty.
    Wie soll ich da widersprechen?
    Meine Mutter legt mir eine Hand auf die Schulter, erahnt meine Gedanken. »Ich weiß, dass du anderer Meinung bist, Florian. Aber Dinge ändern sich nun mal. Sarah hat sich verändert. Und sie hat mir vor ein paar Tagen gesagt, dass sie sich das jetzt genau so wünscht.«
    Möglich ist das natürlich schon.
    »Ja. Und jetzt guck nicht so mürrisch. Nimm dich ein bisschen zusammen. Hilf uns, die Sachen einzupacken! Es ist ihr Geburtstag. Der soll doch« -- sie macht eine Pause, als wolle sie »noch mal« sagen, sagt es aber nicht -- »möglichst schön für sie sein.« Ein Ruck geht durch ihren Körper, und wie um dem »noch mal« etwas entgegenzusetzen, beginnt sie plötzlich
Viel Glück und viel Segen
zu summen.
    Mir wird schlagartig übel. Ich kann Singerei nicht ab. Außerdem ärgert's mich, dass meine Mutter überhaupt nicht kapiert, dass auch ich Sarah einen schönen Tag wünsche. Genau wie ich ihn mir gewünschthätte. Aber ich bin ja wohl ein Egoist. Zumindest sieht es mein Vater, der mit halb umgebundener Krawatte die Treppe hinunterkommt, so: »Es ist Viertel vor zehn und du bist immer noch im Schlafanzug. Statt zu pennen, hättest du mir beim Aufbau der Gästebetten helfen können. Hast du wieder die halbe Nacht vorm Computer gesessen?«
    Ich habe schlecht geschlafen. Er übrigens auch. Neuerdings hat er oft Albträume, in denen er so unruhig ist, dass er nicht nur meine Mutter weckt, sondern auch mich
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