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Das Haus der tausend Blueten

Das Haus der tausend Blueten

Titel: Das Haus der tausend Blueten
Autoren: Julian Lees
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Stilton-Käse vorgesetzt hatte.
    Nachdem Lu See wieder ihren Platz im Bus eingenommen hatte, sah sie durch das Fenster auf die Landschaft hinaus. Sie sah Nomaden, die in Zelten aus Yakwolle lebten, fensterlose Häuser mit Schindeldächern und Wänden aus Lehm, Frauen in langen Ghaghris, Salwars und Cholis, Bauern, die in Kurtas und mit Mützen auf dem Kopf die Felder bestellten.
    Auf der Straße, welche Haryana mit Mandi verband, sah Lu See verschneite Berggipfel, Felsenklöster und Eselskarren. Das hier ist also Sum Sums Heimat , sagte sie sich. Wo ich auch hinschaue, ich sehe ihr Gesicht.
    Die raue, hügelige Landschaft wurde in der Ferne von Bergen begrenzt, die von ewigem Eis und Schnee gekrönt wurden. Umherstreifende Ziegenherden sprenkelten das Terrain, so als hätte dort jemand Samen ausgeworfen.
    Am späten Nachmittag hielt der Bus vor einem Rasthaus, dessen Türen mit geschnitzten Lotosblüten und dessen Wände mit gemalten gyung-drung - Swastikas verziert waren.
    »Ich glaube, heute ist hier Markttag«, sagte Mabel.
    Korbmacher, Salzhändler, Silberschmiede und Weber stellten sich in einer Reihe auf, um sie zu begrüßen. Die Worte ihrer Sprache kamen als flüchtige, eckige Töne aus ihren Mündern.
    Zwanzig Meter weiter standen Männer in gebückter Haltung und schoren Schafe. Weiße Wolle breitete sich wie Schnee um ihre Beine aus. Sie blickten kurz von ihrer Arbeit auf und lächelten in Lu Sees Kamera. Die dünne Luft hier oben ließ alles heller und klarer erscheinen. Die Strahlen der Sonne schienen es leichter zu haben.
    Nach einer Weile stiegen sie wieder in ihren Bus.
    Lu See hatte – wenn sie sich richtig erinnerte, im LIVE Magazin – einen Bericht über Dharamsala gelesen.
    »Es ist eine der größten Städte des Kangra-Tals«, sagte sie zu Pietro, der sich gerade die Nägel feilte. »Sie ist auf drei Seiten von Bergen umgeben und blickt im Süden in ein Tal hinunter. Die Stadt liegt etwa eintausendachthundert Meter über dem Meeresspiegel und ist auf felsigem Grund erbaut.«
    Pietro legte nachdenklich seinen Zeigefinger auf sein Kinn. »Gut, dass ich meine Stilettos zu Hause gelassen habe.«
    Als sie sich Dharamsala näherten, wurde Lu See immer nervöser. Werden wir einander überhaupt erkennen, werden wir noch immer Freundinnen sein? Was würde sie in Sum Sums Gesicht sehen? Ihr eigenes Spiegelbild.
    Sobald sie sich in ihrer Pension eingerichtet hatten, beschloss Pietro, dass es Zeit war, das eigentliche Dharamsala zu erkunden.
    »Ich werde ein paar Souvenirs einkaufen. Es hat wohl keinen Sinn, wenn wir alle bei den Nonnen vor der Tür stehen und ihnen eine Szene machen«, sagte er.
    Lu See stimmte ihm zu, schnappte ihre Zeichenmappe, nahm Mabel am Ellbogen und bahnte sich mit ihr durch das geschäftige Treiben der Stadt ihren Weg. Mabel hatte sich einen Plastikbehälter unter den Arm geklemmt. Schon bald konnten sie durch ein Tor den Vorplatz des Nonnenklosters sehen. Im Hintergrund erhoben sich schneebedeckte Berggipfel. Sie kamen an Briefeschreibern, paan- Verkäufern und Reishändlerinnen vorbei. Eine Frau mit den mandelförmigen Augen der Nepalesen, die noch kurz zuvor einen ihrer in Sandalen steckenden Füße massiert hatte, hielt ihr eine Handvoll Reis aus einem Jutesack entgegen. Als Lu See verneinend den Kopf schüttelte, begann sie wieder, ihren großen Zeh zu kneten. Ein kleines Stück weiter, im Schatten einiger Pipal-Bäume, saßen die Briefeschreiber mit überkreuzten Beinen auf hölzernen Kisten und hämmerten auf die Tasten ihrer Schreibmaschinen ein. Hin und wieder hielten sie inne, um dem Diktat ihrer Kunden zu lauschen. Noch ein Stück weiter mischte ein paan- Verkäufer Betelblätter mit Kalk und Tabak.
    Lu See und Mabel passierten das bescheidene Tor und betraten den Tempelbereich. Niemand sagte ihnen, wohin sie gehen sollten, wohin sie überhaupt gehen durften .
    Die Luft war frisch, sauber und lebendig. Wegen der gro ßen Höhe saß den beiden Frauen der Atem hoch in der Brust.
    Die herbstliche Kälte nagte an ihren Zehen. Lu See hüpfte von einem Bein aufs andere wie ein Kind, das dringend auf die Toilette muss.
    »Das ist es also«, sagte Mabel. »Das Geden-Choezon-Nonnenkloster.«
    Sie sahen nach oben und erblickten brennende Butterlampen und Nonnen, die im Schneidersitz auf dem Boden saßen und buddhistische Texte rezitierten. Über ihren Köpfen flatterten Gebetsfahnen wie blaue, weiße und gelbe Flammen.
    Sie näherten sich der Dharma-Anlage und versetzten die
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