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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis
Autoren: Philip Marsden
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verschonen?«
    Draußen dämmerte es inzwischen. Die Ruine des Nowogródeker Schlosses erhob sich gleich einem Schiffswrack auf dem gegenüberliegenden Hügel.
    »Ich kann einfach nicht verstehen«, sagte Zofia, »wieso die Plünderer die beiden Dinge übersehen haben. Ein Ehering   – wäre das nicht das erste, wonach sie suchen würden?«
    »Vielleicht haben ihn gar nicht die Bauarbeiter gefunden.«
    »Wie meinst du das?«
    »Vielleicht hatte jemand im Dorf ein schlechtes Gewissen.«
     
    Als Einweihungsdatum hatte man einen kirchlichen Festtag gewählt, den Tag der Heiligen Peter und Paul. Schon mittags war es sehr heiß. Eine zaghafte Brise zauste den Waldrand. Zofia und ich kamen frühzeitig bei der Kapelle an; sie sollte den Bischof bei seiner Ankunft begrüßen und ihm die Schlüssel überreichen. Als wir den Weg hinaufgingen, legte eine Nonne gerade noch einen Halbkreis aus blauen Lupinen um die Kapellentür.
    Doch die Tür war mit einem Vorhängeschloß versperrt. Ein Mann eilte ins Dorf, um die Schlüssel zu holen, und kehrte außer Atem zurück. Er schüttelte den Kopf. »Kein Schlüssel da!« Und er machte sich daran, das Schloß gewaltsam zu öffnen, mit einem Brecheisen.
    »Jetzt weißt du«, flüsterte ich Zofia zu, »was du dem Bischof überreichen mußt   – ein Brecheisen!«
    Die Restaurierung jedoch war großartig. Außen trugen vier kräftige Säulen einen Holzgiebel, den ein schlichtes schwarzes Kreuz krönte. Eine der Außenmauern war von Grund auf neu errichtet worden   – aber so sauber ausgeführt, daß kaum zu erkennen war, welche. Säulen und Mauern waren frisch gekalkt, so grell, daß Zofia in ihre Handtasche greifen und die Sonnenbrille herausfischen mußte.
    Im Innern der Kapelle roch es nach frischer Farbe. Wir waren es gewohnt, in Weißrußland nur kaputte Gebäude zu sehen, und so war es ganz eigenartig, das Ergebnis jüngster Bautätigkeit vor Augen zu haben. Der Innenraum war klar und bescheiden. Er war nicht länger als zwölf Meter. Parkettboden erstreckte sich bis zu dem einfachen Altar. Um den Altar und entlang der Wände standen Krüge mit Lilien und Pfingstrosen. Die Decke war aus gebeizten Lärchenbrettern, die von dem Baum stammten, der neben den Trümmern der Ruine gestanden und uns zwei Jahre zuvor zu der Stelle geführt hatte.
    In eine Mauer hatte man eine Granittafel eingelassen und aus ihr die Inschrift herausgemeißelt: Adam Broński 1890   –   1934.   Zofia legte ihre Tasche auf einen Stuhl und stellte sich vor die Tafel. Sie blieb mehrere Minuten dort stehen.
    Sechzig Jahre. Sechzig Jahre, seit man den Sarg ihres Vaters in diese Kapelle getragen hatte. Sechzig Jahre, seit der pferdebespannte Trauerzug von Mantuski durch den Wald hierher gerollt war. Sechzig Jahre. Sechzig Jahre, in denen alles, was sie für fest und beständig gehalten hatte, nach und nach dahingeschwunden war, genauso wie alle Menschen, die sie geliebt hatte. An dieser Stelle hatte die Kette der Verluste ihren Anfang genommen.
    Wir gingen hinaus. Von der blanken Erde rund um die Kapelle stieg Hitze auf. Zofia setzte sich in den Schatten einer der Säulen. Gruppen von Dorfbewohnern kamen den Hügel herauf. Sie hatten Bündel von Blumen dabei. Sie schwatzten in Grüppchen, spähten zur neuen Eleganz des Gebäudes hinüber, zur alten Eleganz von Zofia. Langsam und bedächtig schlurften sie näher zu ihr, beäugten ihre Kleidung, ihre Schuhe, ihre Sonnenbrille.
    Proszę
Pani, erzählen Sie uns, wo ist Ihr Zuhause? Ist das Ihr Sohn? Erzählen Sie uns bitte, wo ist Ihre restliche Familie? Was ist aus ihnen allen geworden?
    Kanada, Anglia, Francja, Australia . . .
    Wann kommen sie zurück?
Proszę
Pani, warum sind sie nicht hier?
    Es ist weit weg. Zu weit, und viele sind arm. (Wie sollte sie erklären, wie schwierig es war zurückzukommen, wie schwierig, dem, was geschehen war, ins Auge zu sehen?)
    Aber sie werden kommen,
proszę
Pani, nicht wahr? Bitte sagen Sie ihnen, sie sollen kommen . . .
    Der Bischof von Grodno erschien wenige Minuten vordrei. Sein deutscher Wagen kam quietschend zum Stehen. Die Menge teilte sich, um ihn durchzulassen, und er lächelte ein Bischofslächeln und teilte Plastikrosenkränze an die Kinder aus. Er betrat die Kapelle, beugte das Knie, begab sich zu seinem Sitz neben dem Altar und setzte sein Birett auf. Eine Übergabe der Schlüssel fand nicht statt.
    Sechs Geistliche folgten dem Bischof. Ihre Requisitenkoffer   – mit Mitra und Bischofsstab, Soutanen zu
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