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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis
Autoren: Philip Marsden
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Braganza. Zofia war für die Weinkeller zuständig, schrieb Gedichte und segelte   – miserabel   – die
Memory
. Sie pflanzte Rosen, Escalloniahecken und Kamelien, und sie hatten zwei Kinder. Aber das Lebensmuster Verlust setzte sich fort. Ihr Sohn kam mit einundzwanzig bei einem Autounfall ums Leben. Sie machten Pleite und verloren die Hotels. Zofias zweiter Mann starb mit achtzig eines natürlichen Todes.
    In Braganza hängt ein Bild von ihrem Sohn, eine Pastellzeichnung. Er trägt einen Schnurrbart. Er hatte für das Porträt versucht, sein Haar zu bürsten, aber man sieht, daßes nichts gebracht hat: es war zu wirr und buschig, um sich zu fügen. Er hat Zofias schwere Augenlider.
    Ich habe das gleiche Gesicht noch einmal gesehen, in St. Petersburg. Es war ein gerahmtes kleines Bild in der Heldengalerie der Eremitage. Dort hängen Einzelporträts aller Generäle, die 1812 dazu beigetragen haben, Napoleon hinter den Njemen zurückzutreiben. Zar Alexander I. beherrscht eine ganze Wand. Seine Generäle füllen die Wände zu beiden Seiten. Links auf halber Höhe ist einer, der als einziger den Porträtisten nicht ansieht. Er hat den gleichen Schnurrbart, das gleiche nicht zu bändigende Haar.
    Unter dem Bild steht in kyrillischen Buchstaben: General I.   O.   O’Breifne.
     
    1992, mehrere Monate nach unserer Rückkehr aus Weißrußland, saßen Zofia und ich eines Abends in ihrem Wohnzimmer in Braganza. Das Bild von Mantuski hing über ihr. Es dämmerte, und der Wind rüttelte an den Türen; ein Sommersturm war im Gange. Vom Fenster aus sah man einen der Trawler in die Bucht zurückkehren. Neben dem Fenster stand im Halbdunkel die Araukarie.
    »Genau hier, erinnere ich mich«, sagte Zofia, »habe ich vor fünfzehn Jahren mit Mama gesessen. Auf dem Rasen spielten lautstark die Enkelkinder   – ihre Urenkel. Nicht eines von ihnen sprach ein Wort Polnisch. Englisch, Französisch   – aber kein Polnisch. Keiner ihrer Nachkommen hatte einen polnischen Partner geheiratet. Mama war damals schon fast blind. Sie drehte sich zu mir um und sagte ganz sachlich: ›Manchmal frage ich mich, ob es richtig war, euch alle aus Polen herauszubringen. Vielleicht wäre es das Beste gewesen, einfach auf die Russen zu warten.‹«
    Im Exil hatte Helena sich in einem Winkel von Surrey niedergelassen. Sie teilte sich dort ein großes Haus im Tudorstilmit einer Freundin und mehreren Katzen. Es war ein unauffälliges Haus in einer unauffälligen Gegend. Mit einer Ausnahme. Auf den Bildern, die Zofia mir gezeigt hat, war es von genau den gleichen Kiefern- und Birkenwäldern umgeben, wie sie Mantuski umgeben hatten.
    »Im Alter ließ ihre Sehkraft nach. Sie wurde sehr anspruchsvoll. Ihre eigene Mutter war kurz nach dem Krieg in Dublin gestorben. Daß sie eine O’Breifne war und damit eine   – wenn auch nur angeheiratete   – Nachfahrin berühmter irischer Emigranten, der
Wild Geese
, hatte sie dort zu einem Kuriosum gemacht. Bei meiner Mutter war es anders. Sie hat mehr als vierzig Jahre hier gelebt, ist aber nie richtig heimisch geworden. Sie hat immer versucht, mich dazu zu bewegen, nach Surrey zu ziehen, aber wie hätte ich das tun können? Ich hatte hier meine eigene Familie. Schließlich zog sie im Januar 1981 hierher.
    Bei ihrer Ankunft trug sie eine dunkle Brille und hielt eine Katze unter dem Arm. Ich hatte mir vorgestellt, sie jahrelang bei mir zu haben. Aber nach nur drei Wochen war sie tot. Liebe Mama . . .«
    Zofia blickte aus dem Fenster. Es war inzwischen fast dunkel. Die Bäume waren bloß noch Schatten vor dem Hintergrund der Bucht. Von Westen breitete sich Nebel aus. Vom Leuchtturm klang das Stöhnen des Nebelhorns herüber.
     
    Fern in Mantuski stand die Lärche immer noch. Daneben befand sich das Haus von Pani Cichonia. Zweimal war sie eingeschritten, um die Leute vom Amt abzuhalten, sie zu fällen.
    »Sehen Sie.« Sie hatte auf den Stamm gedeutet, »Sie können die Axtkerben erkennen.«
    Pani Cichonia hatte nach der Familie gefragt, nachZofias Tanten und Brüdern, nach ihrer Mutter und was mit ihnen geschehen war. Plötzlich beugte sie sich vor und unterbrach Zofia. »Ja, vor elf Jahren sind die Kinder hier beim Spielen gewesen, und da hat es auf einmal geblitzt. Aus heiterem Himmel, und der Blitz hat in den Baum eingeschlagen! Nadeln und kleine Zweige sind heruntergewirbelt«   – Pani Cichonia machte eine Spiralbewegung in der Luft   –, »es muß damals gewesen sein   – es muß um die Zeit gewesen
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