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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis
Autoren: Philip Marsden
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zu einem Flüstern, und er beugte sich zu uns. »Doch Vater Jarosław bekam selber Typhus, und der Herr hat ihn zu sich genommen.«
    Zofia blieb einen Augenblick an seinem Grab stehen und bekreuzigte sich. Dann sagte sie: »All diese Jahre habe ich mich gefragt, ob dieser Priester nicht eine Art Engel war, ausgesandt, um uns sicheres Geleit zu geben.«

28.
    D ie Brońskis
verbrachten den restlichen September in Litauen, auch den Oktober und den halben November. Sie lebten bei Helenas Mutter in Platków.
    Nach der stürmischen Fahrt zur Grenze und dank der Erleichterung, nachdem sie sie überschritten hatten, kam ihnen ihre reale Lage erst allmählich zu Bewußtsein. Helena schreibt:
     
    So ist nun das Gefürchtetste und Furchtbarste eingetroffen. Wir sind von Mantuski geflohen, haben unser geliebtes Mantuski verlassen. Das Haus, das Adam wiederaufgebaut hat, die kostbaren Zimmer, die Teppiche, die Möbel, die Bücher   – verloren. Unsere geliebte Dienerschaft, die Hunde, die in siebzehn Jahren sorgsam gezüchtete Herde, der Wald, die Bienen, die Obstwiesen, der träumende Fluß, alles verloren. Wir sind heimatlos, bettelarm, gebrochen. Kein Polen. Kein Mantuski. Alles entschwunden wie eine
Fata morgana
. Und so viele, so viele, die wir zurückgelassen haben: Onkel Nicholas, die Stravinskis . . . Ich glaube nicht, daß ich noch schreiben kann . . .
     
    Zofia unternahm lange Spaziergänge im Wald. Ihre Erinnerung an diese Zeit sind die Bäume und eine überwältigende Traurigkeit. Sie schrieb an Eric:
     
    Wir leben, aber unsere moralische Kraft ist erloschen. Wahrscheinlich kommen die Bolschewisten hierher, darum wollen wir möglichst weit weg. Falls ich nach England komme, hilf mir bitte, eine Arbeit zu finden. Ich kann eine sehr gute Köchin werden, wenn ich ein bißchen lerne, denn jetzt haben wir nichts. Ich hoffe, es geht Dir gut. Wenn wir nicht tot sind oder zu Gefangenen werden, werde ich Dich wohl in diesem Leben wiedersehen.
    Leb wohl, Eric.
     
    Drei Generationen warteten in Platków: Helenas Mutter, im Alter gebrechlich und zaghaft; Helena selbst, verwitwet, einundvierzig Jahre alt, wegen ihres Knies an einem Stock humpelnd; und Zofia in weiten Baumwollkleidern, mit langem Zigeunerhaar und blaßblauen Augen.
    Die Russen hatten an der litauischen Grenze haltgemacht. Sie unterzeichneten ein Abkommen mit Smetona, und der Druck schwächte sich eine Weile ab. Doch im November traf Helena die Entscheidung, das Land zu verlassen. Ihre Mutter drang in sie, zu bleiben, sagte, es wäre alles bald vorbei und sie würden nach Mantuski zurückkönnen. Aber Helena war einmal zu oft vertrieben worden.
    Ende November schrieb Zofia an Eric; sie ließ ihn wissen, daß sie versuchen wollten, nach England zu gelangen:
     
    . . . Eines Tages, wenn wir nicht im Meer ertrinken, wirst Du mich vielleicht auf einer Straße in London treffen, traurig und hungrig. Ich werde sagen: »Hallo, Gugu«, und Du wirst sagen: »Kann ich Dir einen Penny für Brot geben?« Und ich werde sagen: »Aber nein, ich habe massenhaft Geld.« Nun leb wohl, lieber Eric. Wenn ich zwei Monate nicht mehr schreibe, heißt das, daß ich nicht mehr auf dieser Welt bin.
     
    Sie erreichten England im Dezember 1939, über die Route Estland, Stockholm und Oslo. In Bergen fanden sie einen kleinen Kohlefrachter mit Ziel Newcastle. Eric holte sie am Hafen ab. Zofia war erstaunt, wie förmlich er war. »Ich machte damals die Erfahrung, daß ein Engländer in England etwas ganz anderes ist als ein Engländer in einem slawischen Land.«
    Die Familie Brónski wurde zerstreut, bei verschiedenen Familien im ganzen Land untergebracht. Zofia landete im Convent of the Holy Family of Nazareth in Enfield. Sie lernte Maschineschreiben, Stenographie, vervollkommnete ihr Englisch und bekam einen Studienplatz für englische Literatur an der Universität Reading.
    Sie fuhr fort, sich mit Eric zu treffen. Sie nahmen oft Bezug auf die beiden Sommer in Mantuski. So vieles veränderte sich; das allein schien beständig. Zofia schrieb ihm im Mai 1940:
     
    Enfield.
    . . . Straßen Straßen und Häuser und Schornsteine und eine so ungemütliche Sonne in dieser Stadt Stadt Stadt . . . Ich sitze am Fenster und versuche, mir vorzustellen: Es ist Mantuski   – ich gehe im Moor spazieren, und das Wasser macht ein ulkiges leises Geräusch unter meinen Füßen, und das Singen des Waldes ist um mich herum. Du bist auch dort, Eryk, weil ich hier nicht glücklich bin, wo ich den Bahnhof von
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