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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis
Autoren: Philip Marsden
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ein Onyxei, eine alte Postkarte von einem Ort namens Wilna, eine polnische Banknote, eine Schreibfeder. Es sei eine Zauberfeder, sagte sie, sie werde Zauberdinge für mich schreiben. Sie selbst schrieb Zauberdinge: witzige, gefühlvolle Gedichte über verliebte Einhörner, sprechende Hummer und die sonderbaren Herren, die in ihren Hotels wohnten.
    Jeden August führte sie meinen Bruder und mich in eines der beiden Hotels zum Mittagessen aus. Wir mußten einen Schlips tragen und Tweedjacketts, die uns ein Jahr zu groß und das nächste zu klein waren. Zofia redete die italienischen Kellner mit Vornamen an (gewöhnlich den verkehrten) und bestellte komplizierte Sachen wie Garnelen und Austern, die wir in unseren Jackentaschen verschwinden ließen, wenn sie gerade nicht hinsah. Aber danach fügte sie sich immer unserem Geschmack und verlangte Reispudding, den sie »Rasputin« aussprach.
    Dann setzten wir uns auf die Terrasse hinaus, und sie erzählte Geschichten   – märchenhafte Geschichten, polnische Geschichten. Das Meer schlug unter uns gegen die Mauer; Boote kreuzten in der Bucht. Zofia aber saß da, vorgelehnt, die Stimme zu einem Flüstern gedämpft, und beschwor ein weit eindringlicheres Bild herauf von einem tief verschneiten Wald, über den die Dunkelheit hereingebrochen war, von heulenden Wölfen und heulendem Wind, von einem Mann, der ganz allein im Winkel einer Holzhütte hockte und lauschte und lauschte: »Schuuh-schuuh! macht der Wind . . . Ahuu, ahuu! machen die Wölfe . . .«
    Zofia produzierte sehr überzeugende Geräusche, und wir waren in dieser Holzhütte, bei diesem einsamen Mann, bei dem Schuuh-schuuh des Windes und dem Ahuu der Wölfe, und lauschten, lauschten, lauschten . . .
    Dann schlug sie immer heftig auf den Tisch und stieß einen Schrei aus, und wir mußten alle drei lachen   – wir zwei erschrocken, Zofia übermütig   –, während die steifleinenen englischen Gäste an den Nebentischen die Augenbrauen hochzogen über die ungehörige Art und Weise, in der diese Frau   – diese ausländische Frau, die Hotelbesitzerin   – sich mit ihren zwei kleinen Jungen in der Öffentlichkeit aufführte.
    Zofia hatte ein kleines Boot namens
Memory
mit einer 17 auf dem Großsegel. Siebzehn war sie gewesen, als sie geflohen war, und siebzehn war das Datum: der 17.   September 1939.
    Sie war die miserabelste Seglerin, die ich je erlebt habe. Sie war völlig außerstande, die Grundprinzipien des Segelns zu begreifen   – das Wenden, Halsen, Schiften   –, und griff statt dessen auf Techniken zurück, mit denen sie sich auskannte: die des Reitens. Die Schoten handhabte sie wie Zügel, die Falle wie einen Kehlriemen. Ihre Hunde schwammen nebenher und bestärkten sie in der Überzeugung, daß Segeln   – die Brise im Haar zu spüren, über die großen Fragen nachzusinnen   – eigentlich nicht anders war als ein Ausritt im polnischen Wald.
    Auch die Seemannssprache war und blieb ihr ein Rätsel. Jedesmal, wenn sie zur
Memory
hinausruderte, fragte sie vorher Jimmy Green im Bootshafen um Rat: »O Jiimy, was ist mit dem Wasser?«
    »Läuft auf, Mrs.   Mo«, sagte er dann, oder: »Läuft gerade ab.«
    Aber bis sie draußen bei der
Memory
war, erinnerte sie sich nicht mehr, ob es auflief oder ablief. Und sie war sich auch nicht ganz sicher, warum das wichtig war.
    Gelegentlich, nach Beinahekatastrophen, wandte sie sich an den alten Charlie Ferris (wegen seines riesigen weißen Barts »Whiskers« genannt) und bat ihn, zu versuchen, ihr das Segeln beizubringen. Whiskers kam an Bord, erklärte die Schoten und Klampen, Bug und Heck, Backbord und Steuerbord, zeigte ihr, wie man das Boot verholte, damit es im Wind lag, und wie man Segel setzte, und sie tat so, als verstünde sie alles. Aber eines Tages ließ sie das Großfall los, und als Whiskers den Mast hinaufkletterte, um es von da oben zu holen, büßte er an einem Blockein großes Stück Bart ein. Danach kam er der
Memory
nicht mehr zu nahe.
    Ich war zehneinhalb, als Zofia eines Augustabends bei uns anrief und nach mir verlangte.
    »Phiilip«, sagte sie mit tiefer Abenteuerstimme, »ich will mit der
Memory
in die Bucht, um die Schwäne zu sehen. Kommst du?«
    Die Eichen standen bis ans Wasser. Tang hing von ihren Zweigen herunter wie Hexenhaar. Hinter der ersten Biegung fanden wir das Gerippe eines aufgegebenen Schiffs, aber keine Schwäne. Als wir um die zweite Biegung kamen, hatte der Abend seinen Zauber über den verlassenen Meeresarm
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