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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis
Autoren: Philip Marsden
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Zofia übersetzt. Eine Woche lang las ich diese Aufzeichnungen, las sie wieder. Die schemenhafte Welt von Zofias Vorkriegsvergangenheit erwachte zum Leben. Die Szenen, die sie Jahre zuvor für mich heraufbeschworen hatte, formten sich neu, gewannen Fleisch und Blut auf den Hunderten von Seiten in der blaßblauen Schrift ihrer Mutter.
    Feuchter Waldgeruch stieg von den Kladden auf, während ich sie las, auch Leidenschaft und Verrat. Das alte Europa war zwischen diesen vergilbenden Seiten wie eine Fliege gefangen und zerquetscht worden. Zofias Mutter schlug mich in Bann.
     
    Sie wurde am 17.   Juli 1898 in den nördlichen Gebieten des russischen Teils von Polen in einem Haus mit dem Namen Platków geboren. In ihrer Geburtsnacht fegte ein wilder Sturm über die Wälder hinweg, der die Kiefern wie Zündhölzer verstreute. Lange Jahre danach lagen die Bäume noch da, wo sie hingefallen waren, und Zofias Mutter nahm darum an, daß Verwüstung ein natürlicher Zustand war.
    Sie wurde Helena getauft. Von seiten ihrer Mutter stammte sie aus einer traditionellen polnischen Gutsbesitzerfamilie, mit einer traditionellen Gutsbesitzerabneigung allem Fremden gegenüber. Dies war die Welt, auf die Helena Anspruch hatte, für die sie geboren war, in der sie sich bequem hätte einrichten können, wären da nicht zwei Dinge gewesen: Jene Welt ging, wie sie immer spürte, ihrem Ende entgegen. Und sie hatte einen ausländischen Namen geerbt.
    Ihr Vater hieß O’Breifne. Er war der direkte Nachkomme von Lochlainn, dem letzten König von East Breifne. Lochlainn hatte im fünfzehnten Jahrhundert über das Land bis knapp südlich von Ulster geherrscht. Doch zweihundert Jahre später, nach dem Untergang des Königreichs, mußten seine Erben nach der Schlacht an der Boyne vor den Engländern fliehen und sich nach Frankreich absetzen.
    Von Frankreich gingen drei Brüder O’Breifne nach Rußland, auf Einladung von Zarin Elisabeth, um deren Offizieren die tatarische Wildheit abzugewöhnen. Einer der Brüder, Cornelius, der als einziger Nachkommen hatte, ließ sich dort nieder. Obwohl seine Familie in Rußland blieb, wurden sie nie naturalisiert. Cornelius’ Sohn wurde ein berühmter General (sein Porträt hängt in der Petersburger »Galerie von 1812«), bei dessen Kindern Zar Alexander I.   Pate war. Doch er brachte es nicht über sich,das eine aufzugeben, was er aus seiner alten Heimat beibehalten hatte: seinen Glauben.
    »Vergiß nie«, hatte sein Vater ihm gesagt, »daß du Katholik und Ire bist.«
    Da er im Fall der Heirat mit einer Russin zum orthodoxen Glauben hätte übertreten müssen, hatte er nur die Möglichkeit gehabt, eine Polin zu heiraten. Drei Generationen taten es ihm nach. Das irische Blut wurde verdünnt. Doch in dem Klima der Engstirnigkeit, das in den Großgrundbesitzerfamilien Ostpolens herrschte, waren Helena und die O’Breifnes immer Außenseiter. Zum einen lasen sie Bücher. Einige von ihnen waren Anhänger der liberalen Ideen Tolstois. Sie erörterten so gefährliche Dinge wie eine Landreform. Und dann war da noch der Name.
    Die O’Breifnes waren, wie das Bühnenflüstern verstaubter Adelswitwen Helena ständig mahnte, »keine echten Polen«.
    Auch Zofia erinnerte sich an das Geflüster. »All diese vornehmen Polinnen taten immer so, als könnten sie den Namen nicht aussprechen. ›Orbrefna? Orbrefska? Was für eine Art Name ist das? In Irland gibt es Dutzende davon . . . hausen da überall in irgendwelchen Löchern . . .‹«
     
    Bei einem Besuch in Braganza gab Zofia mir einen Briefumschlag. Aus dem Umschlag fielen zwei Fotos. Es waren die einzigen, die den Krieg überstanden hatten.
    Das erste Bild war 1936 an einem Waldrand aufgenommen worden. Helena bückte sich, eine Hand auf dem Rücken eines Hundes. Sie blickte zur Kamera auf, ein angedeutetes Lächeln in den Mundwinkeln. Eine Art trunkener Lebenslust ging von ihr aus.
    »Das ist nah dem Haus in Mantuski aufgenommen worden, mit Barraj, einer der dänischen Doggen.«
    Das andere Bild war ein Studioporträt, 1919 in Warschau angefertigt. Helena war zwanzig. Ich betrachtete ihr hochgeschlossenes weißes Kleid, den stolz aufgerichteten Kopf, das Lächeln, die schmalen Augen und ihren merkwürdigen glatten Teint.
    Zofia deutete mit dem Finger darauf. »Siehst du, wie sie hier, unten am Hals, mit ihrer Kette spielt? Sie sagte immer, damit könne man Männer in sich verliebt machen.« Zofia senkte die Stimme. »Weißt du, ich glaube, es stimmt! Ich habe es
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