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Das Haus der Bronskis

Das Haus der Bronskis

Titel: Das Haus der Bronskis
Autoren: Philip Marsden
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diversen liturgischen Anlässen, all dem gestärkten und glitzernden Zubehör der Hostie   – nahmen einen beträchtlichen Teil des Innenraums ein. Die Leute zwängten sich in die Kapelle, verstopften den Eingang; und diejenigen, die nicht mehr hineinpaßten   – die Mehrzahl   –, standen draußen.
    Der Gottesdienst selbst war eine konventionelle Messe mit anschließender feierlicher erneuter Weihe. Diese erforderte eine Reihe von Gebeten und daß der Bischof die Kapelle gemessenen Schritts umrundete und dabei mit dem Aspergill Weihwasser versprengte.
    Nach der Messe stand Zofia auf, um eine Rede zu halten. Sie räusperte sich und blickte auf die Gesichter vor ihr.
    »Diese Kapelle«, begann sie, »birgt Erinnerungen an meine Familie, die Brońskis. Einst haben sie alle hier gelebt und diese Kapelle aufgesucht   – zur Messe, zu ihren Taufen und Hochzeiten und zu ihren Beerdigungen. Ich erinnere mich an die Trauerfeier für meinen Vater hier vor sechzig Jahren   – einige von Ihnen haben mir erzählt, daß auch Sie damals hier waren. Das bedeutet mir außerordentlich viel. Ich danke Ihnen, daß Sie gekommen sind.«
    Die Menschenmenge draußen drängte nach, um besser zu hören; es gab vereinzelte Rempeleien im überfüllten Gang.
    Sie hob den Kopf, bevor sie fortfuhr. »Wie Sie hat mein Vater sein Leben lang hier gelebt, auf diesem Boden, diesemLand. Er liebte dies Land mehr als alles andere. Er hat sein Leben damit verbracht, es zu bearbeiten oder   – wenn er es nicht bearbeitete, wie im ersten Krieg   – dafür zu kämpfen. Er liebte die Menschen und die Wälder, und zur Erinnerung an ihn ist diese Kapelle wiederhergerichtet worden.
    Eines jedoch möchte ich ganz klar sagen. Seit über einem halben Jahrhundert lebt hier kein Broński mehr. Einst war dies unser Zuhause, heute ist es das nicht mehr. Die Familie ist über die ganze Welt verstreut, und das Leben, das wir kannten, gibt es nicht mehr. Nicht für uns ist diese Kapelle wiederaufgebaut worden, nicht für meine Familie, sondern für Sie, für Sie alle   – Weißrussen und Polen, Orthodoxe und Katholiken. Sie müssen sich darum kümmern wie um Ihr eigenes Haus. Sie müssen sie aufsuchen. Kommen Sie zum Beten hierher, sooft Sie wollen, sooft Sie können   – auch wenn kein Geistlicher da ist, um einen Gottesdienst abzuhalten; Sie müssen den Rosenkranz beten und im Frühjahr den Wald um das Gebäude zurückschneiden.
    Und seien Sie gewarnt.« Sie lächelte. »Sollte die Kapelle wieder verfallen, wird es
mein
Geist sein, der zurückkehrt und Sie heimsucht!«
     
    Am nächsten Tag stand Zofia spät auf. Wir wohnten bei einer polnischen Familie, im vierten Stock eines baufälligen Wohnblocks in Nowogródek   – zu sechst in drei Zimmern.
    »
Dzień dobry
, Phiilip«, sagte sie, »ich fühle mich ausgeruht.«
    »
Dzień dobry
, Zosia.« Ich küßte ihre Wange.
    Sie setzte sich an den kleinen Tisch in der Küche. »Oh, ich kann dir gar nicht sagen, wie unendlich erleichtert ich bin!«
    Sie hatte durch nichts verraten, wie sehr sie sich vor demGanzen gefürchtet hatte   – vor der Feier, vor der Rede   –, welche Angst sie gehabt hatte, ihr Polnisch oder ihre Beine würden sie im Stich lassen, oder daß niemand kommen würde oder daß diejenigen, die kämen, ihr feindselig gesinnt wären.
    »Und trotzdem, Phiilip«, sagte sie, »trotzdem meine ich, daß dies einer der besten Tage in meinem Leben war. Klingt das lächerlich?«
    »Nein, Zosia, überhaupt nicht.«
     
    Bevor wir Weißrußland verließen, blieb noch eines zu tun. Wir fuhren nach Mantuski.
    Pani Wala Dobrałowicza, Zofias und Helenas einstige Schneiderin, fütterte gerade ihre Zwerghühner, als wir ankamen, sie streute ihnen Körner auf einen Streifen nackten Bodens vor ihrem Häuschen. Die Zwerghühner kreischten zu ihren Füßen. Hinter ihrem Gemüsegarten stand eine einzelne Birke; ihre silbrigen Blätter zitterten im Wind. Hinter der Birke floß der Njemen.
    Als Pani Wala uns erblickte, ließ sie den Topf mit den Körnern zu Boden poltern. »O mein Gott!« rief sie, kam her und umarmte uns beide so fest, als müßte sie verhindern, daß wir auseinanderfielen.
    Von allen Menschen, denen ich in den alten Kresy begegnet bin, den Polen und Weißrussen, den Litauern und Russen, den Priestern und Nonnen, hat niemand einen solchen Eindruck bei mir hinterlassen wie Pani Wala. Sie hatte Augen vom dunkelsten Kornblumenblau und eine unverfälschte und kraftvolle Präsenz. Aber ihre
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