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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman
Autoren: Polina Daschkowa
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Stirn und ihrer Nase weiße Spuren einer dicken Salbe.
    »Dort im Schrank sind Latschen. Bei Tante Lilja darf niemand mit Straßenschuhen in die Wohnung. Was sehen Sie mich so an? Ich hab mich mit einer Salbe gegen Pickel eingecremt.«
    Sie sagte kein Wort weiter, ging ins Zimmer, setzte sich an den Tisch, faltete die Hände auf dem Schoß und starrte vor sich hin.
    Die Tote war höchstens vierzig. Sie war gepflegt, blond, hatte ein glattes, regelmäßiges Gesicht und sah aus, als habe sie sich nur auf den Boden gesetzt, den Rücken an die Heizung gelehnt und die Beine ausgestreckt. Sie trug einen warmen Frottéebademantel und flauschige gemusterte Socken. Auf dem zartrosa weichen Stoff hatten sich dunkle Blutflecke ausgebreitet. Nach der Blutmenge zu urteilen, waren ihr mindestens ein Dutzend Messerstiche beigebracht worden.Auch die Tatwaffe lag da – ein langes Küchenmesser mit schwarzem Plastikgriff.
    Der Fall schien simpel. Eine banale Beziehungstat. Ein schwachsinniges Mädchen tötet seine Tante und gesteht die Tat. Die Zeugen, ein älteres Ehepaar aus der Nachbarwohnung, seufzten lange, dann erzählten sie flüsternd, Ljussja sei Waise und von Geburt an behindert.
    »Alles klar, keine Fragen«, bemerkte Krasnow tiefsinnig und seufzte. »Ein Traum von einer Leiche.«
    Das Einsatzkommando erschien nach zwanzig Minuten. Ausgerechnet Ilja Borodin hatte Dienst. Er war berüchtigt dafür, auch die einfachsten Fälle zu verwirren und kompliziert zu machen. Der rundliche kleine Mann mit der leisen, monotonen Stimme trieb mit seiner intellektuellen Pedanterie selbst die geduldigsten Kriminalisten und Experten zur Verzweiflung.
    Kaum über die Schwelle getreten, murmelte Borodin, für ein derartiges blutiges Gemetzel sei es hier viel zu sauber.
    »Wieso?«, fragte der Spurensicherer erstaunt. »Hier ist doch jede Menge Blut. Aber die Tote trug einen dicken, weichen Bademantel, der hat fast alles aufgesaugt.«
    »Das meine ich nicht«, erklärte der Untersuchungsführer mit dumpfer Stimme. »Die Tote ist eine normale Frau, ordentlich und sauber. Kaum anzunehmen, dass sie mit dubiosen Geschäften zu tun hatte. Ihr Lebensstandard lag offensichtlich unter dem Durchschnitt, soweit man heutzutage überhaupt noch von Durchschnitt sprechen kann. Raub ist so gut wie auszuschließen, Alkohol oder eine betrunkene Prügelei sind es mit Sicherheit.«
    »Die Sache ist die«, flüsterte Unterleutnant Teletschkin ihm ins Ohr, »das Mädchen hier hat sie getötet, ihre Nichte. Sie hat die Tat gestanden. Sie ist behindert, debil oder so. Solche Menschen wissen nicht, was sie tun.«
    »Warum flüstern Sie denn? Ist das Ihr erster gewaltsamer Tod?«, fragte Borodin mit leicht erhobener Stimme.
    »Ja«, bekannte Teletschkin und sah sich zum ersten Mal aufmerksam und in Ruhe um in der Wohnung, in der er sich bereits seit einer halben Stunde befand. Die reinste Puppenstube – gemütlich und hübsch wie in einem Zeichentrickfilm. In der Küche weiße Möbel, weißes Linoleum, in den Zimmern blassgelbes Parkett, hellblaue Tapeten mit rosa Blümchen, Vorhänge mit Volands, die Bezüge des Sofas und der beiden Sessel aus dem gleichen Stoff wie die Vorhänge. Auf dem Sofa drei große Puppen in Rüschenkleidern, mit Hut und Schuhchen. Mitten im Zimmer ein runder Tisch, darauf ein zartrosa Tischtuch mit langen Fransen, auf dem Tisch eine Vase mit drei Tulpen und eine große Schachtel Pralinen mit einer Schleife darum.
    »Hattet ihr Besuch?«, wandte sich Borodin an Ljussja.
    Das Mädchen zuckte zusammen und schrie: »Nein!«
    »Dann hat also jemand Geburtstag?«
    »Nein, kein Geburtstag, keiner war hier.« Sie rutschte auf ihrem Stuhl hin und her und wurde tiefrot, wodurch die weißen Salbenflecke in ihrem Gesicht noch stärker auffielen.
    »Wieso dann die Blumen und die Pralinen?«
    »Einfach so.«
    »Ich verstehe.« Borodin nickte. »Und wer hat die einfach so vorbeigebracht?«
    »Niemand.« Das Mädchen senkte den Kopf und flocht einen Zopf aus den Fransen der Tischdecke.
    »Ljussja, warum hast du deine Tante getötet?«, fragte Borodin sanft.
    Keine Reaktion.
    »Na schön, nehmen wir an, das weißt du selber nicht. Wohnst du bei deiner Tante, oder warst du nur zu Besuch bei ihr?«
    Ljussja war mit dem ersten Zopf fertig und begann mit dem nächsten.
    »Sie ist Waise«, flüsterte die Nachbarin, »sie lebt in einem Sonderschulinternat außerhalb von Moskau. Lilja hat sie früherimmer dort besucht, aber seit kurzem hat sie das Mädchen in den
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