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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman
Autoren: Polina Daschkowa
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will.«
    Borodin sah ihn interessiert an, nickte schweigend und wandte sich wieder an Ljussja.
    »Sag mal, hast du Zwiebeln gegessen?«
    »Nein. Ich reib mir damit den Kopf ein, damit die Haare besser wachsen.«
    »Wer hat dir denn das erzählt? Deine Tante?«
    »Nein, die Krankenschwester bei Mama Isa.«
    »Und wer ist Mama Isa?«
    »Wer?«, fragte das Mädchen erschrocken zurück.
    »Na, du hast doch eben gesagt: Mama Isa.«
    »Das hab ich nicht gesagt, ich weiß nicht, fragen Sie Tante Lilja.« Ihre Augen huschten unruhig hin und her, ihre Lider flatterten, ihr Gesicht war tiefrot.
    »Tante Lilja ist tot«, sagte Borodin sanft, »du sagst doch selbst, dass du sie getötet hast. Kannst du uns erzählen, wie du das gemacht hast?«
    »Gar nicht.«
    »Das heißt, du erinnerst dich nicht?«
    »Doch.«
    »Woran denn?«
    »Ich habe Tante Lilja getötet. Ljussja ist böse.«
    »Na komm, zeig mir mal, wie es war.«
    Das Mädchen erstarrte, sie schien sogar den Atem anzuhalten.
    »Komm mit in die Küche, Ljussja.«
    »Nein. Ich habe Angst.«
    »Aber vorm Töten hattest du keine Angst?«
    »Nein!«, flüsterte Ljussja laut, lehnte sich kraftlos in den Stuhl zurück, schloss die Augen und flüsterte hastig: »Ich weiß nicht, bitte, nein… Das Blut… Ich habe Angst… Bitte nicht, das tut ihr weh…« Ihr Gesicht war nun weiß, ihre Lippen bewegten sich lautlos weiter.
    Der Kriminaltechniker trat an den Tisch und griff nach der Pralinenschachtel, um Fingerabdrücke zu sichern. Ljussja zuckte zusammen wie von einem Stromschlag getroffen. Borodin zog die Brauen hoch und schüttelte den Kopf, der Techniker hob wortlos die Achseln und verschwand in der Küche. Im Zimmer herrschte Stille. Ljussja saß mit geschlossenen Augen da und bewegte lautlos die Lippen.
    »Magst du Schokolade, Ljussja?«, fragte Borodin freundlich.
    Sie zuckte erneut zusammen, öffnete die Augen und flocht wieder einen Zopf aus den Fransen der Tischdecke.
    »Du hast Pralinen geschenkt bekommen und sie nicht einmal probiert.« Borodin langte nach der Schachtel.
    »Nicht anfassen!«, rief Ljussja und errötete.
    »Warum nicht?«
    »Das sind meine! Die hab ich geschenkt gekriegt!«
    »Von wem?«
    »Von einem Mann.« Sie warf den Kopf zurück und strich sich kokett das Haar glatt.
    »Wie heißt er?«
    »Das sage ich nicht.«
    »Er war gestern Abend hier und hat dir Blumen und Pralinen zum Geburtstag geschenkt, ja?«
    Ljussja sprang plötzlich auf, riss die Arme hoch, als wollte sie sich auf Borodin stürzen, presste aber nur die Hände vor den Mund, sank zurück auf den Stuhl und erstarrte. Dann sagte sie kein Wort mehr.
    Ein Team des psychiatrischen Notdienstes traf ein. Ljussja tat brav alles, was man ihr sagte, wusch sich und zog sich an. Ihre Sachen, weite helle Jeans und ein blaues T-Shirt, lagen ordentlich zusammengefaltet auf einem Stuhl im kleinen Zimmer, neben dem gemachten Bett. Ljussja beantwortete keine einzige Frage, als habe sie das Sprechen endgültig verlernt. Ihr Gesicht war bläulichblass, ihr Blick starr auf einen Punkt gerichtet, ihre Bewegungen waren schlaff und träge.
    »Was können Sie über sie sagen?«, fragte Borodin die Psychiaterin, eine energische junge Frau, als diese im Treppenhaus eine Rauchpause machte.
    »Sie ist debil – die leichteste Form geistiger Behinderung.« Die Ärztin zuckte die Achseln. »Im Prinzip durchaus zurechnungsfähig.«
    »Könnte sie sich zu Unrecht selbst beschuldigen?«
    »Das müssen Sie schon selbst herausfinden.«
    Ljussja wurde weggebracht, die Tote hinausgetragen, die Wohnung weiter durchsucht.
    Im Kleiderschrank, in der Kommode und auf dem kleinen Hängeboden herrschte perfekte Ordnung. Die Winterkleidung war in alte Bett- und Kissenbezüge eingenäht, die Sommerkleidung hing auf Bügeln im Schrank, zwischen den akkuraten Stapeln gestärkter Bettwäsche lagen Leinensäckchen mit getrocknetem Lavendel. Jedes Säckchen war mit einer geflochtenen Schnur zugebunden und mit zierlichen Stickereien versehen: Blümchen, Pilze oder Kirschen.
    Den kleinen Bücherschrank füllten vor allem Handarbeitsbücher und Bände wie »Geschichte des russischen Spielzeugs«, »Kinder und die Welt der Kindheit im 19. Jahrhundert«, »Lexikon der Puppenmode«. In den unteren Fächern lagen Zeitschriftenstapel: »Verena«, »Burda Moden« und anderes zum Thema Handarbeit, Spitzenklöppelei, Puppen- und Kinderkleidung.
    Eines gab es in der Wohnung nicht: Geld. Selbst die Handtasche der Toten, die sie vermutlich bei sich
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