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Eifel-Blues

Eifel-Blues

Titel: Eifel-Blues
Autoren: Jacques Berndorf
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ERSTES KAPITEL
    Morgens um sechs war die Nacht zu Ende, weil Krümel an der Schlafzimmertür hochsprang und sich auf die Klinke fallenließ. Ich habe nie begriffen, wie sie es dabei fertigbringt, die Maus in ihrem Maul nicht zu verletzen. Sie kam hinein, hockte sich dicht vor meinen Kopf, legte die Maus vor sich hin auf den Teppichboden und ließ ein triumphierend heulendes Gemaunze hören. Die Maus war ein kleiner, grauer, vollkommen bewegungsloser Ball.
    »O Scheiße!« sagte ich brummig. »Wir haben Ferien, verstehst du? Ferien! Ich bin müde, ich will keine Maus.« Die Maus bewegte sich vorsichtig, wurde am vorderen Ende spitz und dünn. Ich nahm die Brille vom Teppich und setzte sie auf. Die Maus blinzelte und rannte los, direkt auf mein Gesicht zu.
    Krümel neigte elegant den Kopf, mit einem Wisch war die rechte Pfote weit draußen und nagelte die Maus fest, ungefähr zwanzig Zentimeter vor dem Rand der Matratze, ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter vor meinem Gesicht. »Du machst sie sowieso nie tot, und ich kann sehen, wie ich damit fertig werde.«
    Krümel ließ die Maus los, und das graue Bällchen sauste im Geschwindschritt an der Matratze hoch und verschwand oberhalb meines Kopfes unter dem Kissen. Krümel leckte sich die rechte Pfote.
    »Du bist widerlich«, sagte ich erbittert.
    Ich setzte mich hin und nahm das Kissen hoch. Da hockte die Maus und blinzelte wieder, anscheinend furchtlos.
    »Was machen wir jetzt mit dir?« Krümel drehte ab, lief steil schwänzelnd hinaus, maunzte in der Tür und rieb sich am Pfosten. Ich hörte, wie sie den Flur entlanglief und dann die Treppe hinuntersprang. Die Maus setzte sich vorsichtig in Bewegung, ich nahm sie schnell hoch und sagte: »Ich werde dir die Freiheit schenken, ich bin dein Freiheitskämpfer.«
    Ich zog den alten Bademantel an und schlich die Treppe hinunter, die Maus in der Hand. Krümel rieb sich an meinen Beinen. »Ja, ja«, sagte ich, »du gestattest, daß ich deine Morgengabe erst mal an die frische Luft setze.«
    Die Haustür quietschte, es war neblig, es nieselte, aber es war warm. Ich setzte die Maus auf die Stufen. Krümel beobachtete sie nicht sonderlich interessiert. Dann schloß ich die Tür, ging in die Küche und öffnete eine Dose für Krümel. Entenragout. Sie fing an zu schnurren und rieb sich an meiner Wade.
    »Hör auf«, sagte ich, »du benimmst dich widerlich unwürdig, du verkaufst deine Seele für ein mieses Industrieprodukt.«
    Ich schlich zurück in das Schlafzimmer, legte mich hin und schlief ein, bis Krümel mich mit einem sanften Laut weckte. Sie hielt, rund zwanzig Zentimeter vor meinem Gesicht, die Maus sanft auf dem Teppich fest und sah mich sehr stolz und gelassen an.
    Es war neun Uhr, und soweit ich erkennen konnte, war es dieselbe Maus. Es war sogar bestimmt dieselbe Maus, denn in diesem Dorf würde es niemals zwei Mäuse von solch grandioser Dämlichkeit geben.
    Ich nahm die Maus und brachte sie erneut vor das Haus. Das Telefon schellte. Ich dachte, es wäre Elsa oder irgend jemand sonst, aber es war Kohler.
    Er sagte strahlend: »Hey!« Er sagt immer Hey und immer strahlend.
    »Ich bin zweiundvierzig«, sagte ich. »Ich werde alt und fühle den nahen Tod. Und ich habe Urlaub.«
    »Aber das weiß ich doch alles, mein Junge«, röhrte er. »Es ist nur so, daß der Chef dich unbedingt will. Er weiß schon, was er an dir hat ...«
    »Nehmt doch irgendeinen eurer festangestellten Redakteure, nehmt nicht mich. Es gibt bessere.«
    »Nicht in diesem Fall«, sagte Kohler. »Es ist eine sehr leise Geschichte, eine Geschichte mit sehr viel Hintergrund. Und sie spielt irgendwo bei dir, irgendwo in der Eifel. Und weil der Chef so zurückhaltend ist und weil er über so schnöde Dinge wie Geld nicht sprechen mag, soll ich dir sagen, daß er dir achttausend zahlt. Pro Monat, versteht sich.«
    Das war das Doppelte des Üblichen, das roch widerlich. »Es geht nicht«, sagte ich. »Ich muß Urlaub machen, verstehst du? Ich bin wirklich kaputt, ich bin nur ein mieser Freier, der sich seine Brötchen verdient, um etwas Rente im Alter zu haben. Was ist es denn für eine Geschichte?«
    Das schrecklich Normale an Kohler war, daß er irgendwann vor vielen Jahren beschlossen hatte, unter allen Umständen Karriere zu machen, oder das, was er dafür hielt. Und im gleichen Augenblick hatte er seine Seele verkauft, das Recht auf sich selbst abgetreten an irgendwelche gänzlich skrupellosen Chefredakteure, die ihn ständig mißbrauchten, ihn als
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