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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman
Autoren: Polina Daschkowa
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hatte noch kein Wort gesagt. Es war ziemlich hinüber. Seine Augen waren verdreht, sein Kopf schwankte von einer Seite zur anderen, er bewegte träge die Lippen und gab merkwürdige Grunzlaute von sich. Als seine Freundin für einen Augenblick verstummte, waren sie als die alte Romanze »Steppe ringsumher« zu identifizieren, wobei Rjurik die Melodie ziemlich gut traf.
    »He, Rjurikow, was soll das, gibst du hier ein Konzert? Hör auf zu brummen, du verhinderter Schaljapin.« Der Revierchef stieß ihn leicht gegen die Schulter. »Los, erzähl uns, wie die Sache war. Von Anfang an und schön der Reihe nach.«
    »Ich brumme nicht!« Rjurik warf heftig den Kopf hoch. »Ich singe. Ich habe nämlich eine Musikschule besucht. Aber von wegen verhindert, da haben Sie recht, Bürger Natschalnik. Die Wahrheit nehm ich nicht übel. Hätt man mich nicht am Weiterlernen gehindert, hätt man mich aufs Konservatorium gelassen, dann wär ich heute genauso gut wie Pavarotti.«
    »Was quatschtst du denn da!« Sima verzog das Gesicht und klopfte ihrem Freund auf die Schulter. »Pavarotti ist Tenor, und du bist Bass.«
    »Mann, sind die Penner heutzutage gebildet, nicht zu fassen«, spottete der Reviermilizionär, »Sima ist Politikerin, Rjurik Opernsänger. So, Bürger, nun aber Schluss mit den Faxen. Jetzt antwortet ihr gefälligst auf unsere Fragen.«
    »Was sollen wir denn antworten, wenn wir gar nichts gesehn haben?« Rjurik zuckte die Achseln. »Wir kommen heute früh zum Müllhaus, und da liegt ein Haufen Wolle rum und ein Korb. Das war alles.«
    »Woher wusstet ihr von dem Mord?«
    »Ich sage doch, ich hab eine göttliche Gabe, ich bin eine echte Hellseherin. Ich könnte Ihnen alles erzählen, was war und was sein wird und auch, wie das Herz zur Ruhe kommt – wenn Sie im Guten mit mir reden würden.«
    »Red keinen Blödsinn, du dummes Huhn! Von wegen Hellseherin! Die Bullen warn da und ne Leiche wurde rausgetragen, das haben wir gesehn. Aber sonst nichts«, murmelte Rjurik hastig, senkte den Kopf und sang erneut vor sich hin.
    »Lassen Sie uns doch gehen, liebe Herren Bürger«, bat Sima und schniefte kläglich.
    »Also, mein süßes Pärchen«, sagte der Reviermilizionär nach einem Räuspern in amtlichem Ton, »noch seid ihr beide nur Zeugen, aber ihr habt Sachen aus der Wohnung der Toten bei euch. Du, Simakowa, kennst alle Mieter aus dem dritten Aufgang, und du auch, Rjurik. Ihr wusstet, dass in der Wohnung Nummer vierzig eine alleinstehende, schutzlose Frau lebte. Und da habt ihr euch zu einem Raubmord entschlossen.«
    Borodin versuchte mit schmerzverzerrter Miene vergebens, das gegen das Rohr geprallte Bein auszustrecken. Das Knie tat unerträglich weh. Sie sollten die beiden Unglücksraben laufen lassen. Der Mörder hatte das Haus spätestens um halb zwei verlassen. Zum Durchsuchen der Handarbeitskorbs hatte er vielleicht fünfzehn Minuten gebraucht, dann war er verschwunden, und das Pärchen war erst im Morgengrauen gekommen. Mindestens drei Stunden später. Die beiden waren keine Zeugen.
    »Na los, Sima, pack aus, ich hab die Nase voll!«, brüllte der Reviermilizionär und rückte der Erschrockenen dicht auf den Leib.
    Sima zitterte, als hätte sie Schüttelfrost, nahm sich ohne zu fragen noch eine Zigarette aus der Schachtel, riss das Feuerzeug vom Tisch und rauchte gierig. Rjurik hatte sich wiederin sich selbst und seinen Gesang zurückgezogen. Er schaukelte vor und zurück, brummte vor sich hin und erinnerte an einen riesigen, nachdenklichen räudigen Kater.
    »Oje, unsere schweren Sünden, oje, oje«, stöhnte Sima, »was für ein verfluchtes Jahr! Wenn man die Ziffern umdreht, wissen Sie, was dann rauskommt? Drei Sechsen, das Zeichen des Leibhaftigen. Er ist es gewesen, er selbst in seiner scheußlichen Person!«
    »Wer?«, fragten Borodin und der Reviermilizionär im Chor.
    »Das feuerspeiende Ungeheuer«, flüsterte Sima.
    »Du machst dich über uns lustig, ja?«, erkundigte sich der Reviermilizionär einschmeichelnd.
    »Wie ich ihn gesehn hab, wusste ich gleich, dass er eine unschuldige Seele holen will. Die Frau aus Wohnung vierzig, die war so nett und still, hier, ihre Schuhe hat sie mir geschenkt.« Sima streckte ein Bein aus und demonstrierte einen noch ganz passablen hellbraunen Lederschuh. »Und wenn ich auf der Treppe geschlafen hab, hat sie mir eine Decke gebracht und Tee und Brot mit Butter und Wurst. Eine herzensgute Frau, die netteste im ganzen Aufgang, immer mitfühlend. Ein mitfühlender Mensch
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