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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman
Autoren: Polina Daschkowa
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Schüttelfrost wurde immer heftiger. Er wusste, dass dies Entzugserscheinungen waren.
    Nichts war einfacher und angenehmer, als eine Entscheidung zu treffen. Wie oft hatte er das schon durchgemacht? Er hatte längst aufgehört zu zählen. Wie viele Ärzte hatten ihn schon mit Metadon versorgt, einem synthetischen Opiumersatz! Zwanzig Tage lang wurde der Entzug gedämpft durch eine armselige Simulation von Rausch, gestützt durch Psychotherapie und Autosuggestion.
    »Ich bin ruhig, ich bin ganz ruhig«, murmelte Oleg, lehnte sich im Stuhl zurück und schloss die Augen. »Es geht mir gut, es geht mir ausgezeichnet, wie einem Gehängten in der Agonie des Todes, wie einem Psychopathen, der mit Elektroschocks behandelt wird. Ich werde aufhören und weiterleben. Ich habe Mama, die mich sehr liebt. Ich habe meine Frau Xenia, sie ist jung und schön. Ich habe meine Tochter Mascha, sie ist drei Monate alt. Ich bin sehr glücklich. Mein Vater hat nach einem Gespräch mit einem allwissenden Drogentherapeuten, der erklärte, ich hätte keine Chance, einenHerzinfarkt erlitten. Mutter gibt mir die Schuld an Vaters Tod. Ich bin schuld. Ich bin auch an vielem anderem schuld, an Schrecklichem, nie wieder Gutzumachendem, aber daran kann ich nicht denken.
    Außer dem Metadon hatte er eine Dosis LSD-25 bei sich. Eine kleine Ampulle mit einer durchsichtigen, geruch- und geschmacklosen Flüssigkeit. Ein magischer Tropfen Lebenswasser, durch geheimnisvolle Verwandlung gewonnen aus Mutterkorn. Das beste aller Psychodelika, besser als Heroin. Purpurner Nebel. Goldene Sonnenstrahlen. Orangerotes Leuchten. Er musste nur die Hand ausstrecken, in seine an der Stuhllehne hängende Tasche greifen, und in wenigen Minuten wäre die Welt erfüllt von wundervollem Licht und der Schmerz verschwunden, die unerträglichen Schuldgefühle würden verblassen, die Fliegen sich in Schmetterlinge verwandeln, das widerliche Summen in überirdische Musik, und er würde eine märchenhafte Reise in Zeit und Raum antreten.
    Oleg verabschiedete sich von der Idee eines Artikels über verrückte Genies. Dafür brauchte man heftigen Neid auf die toten Genies und Verachtung für die lebenden Idioten, die diese Toten anbeteten. Bosheit und Frivolität. All das empfand Oleg, wenn er versuchte aufzuhören, wenn er auf Entzug war und dabei schier den Verstand verlor. Nun aber war er ruhig und glücklich.
     
    Beim Anblick des Handarbeitskorbs stand Borodin eine Weile da wie angewurzelt und schaute in die verschiedenfarbigen Augen der Obdachlosen. Sie entlud sich in einem so deftigen obszönen Monolog, dass er die Hoffnung auf ein ruhiges, vertrauensvolles Gespräch augenblicklich fallenließ und zur Metro lief, um in uniformierter Begleitung wiederzukommen.
    Nina Simakowa, genannt Sima, war auf dem Milizrevier gut bekannt. Bis vor kurzem hatte sie in dem Haus gewohnt,wo der Mord geschehen war. Ihre winzige Einzimmerwohnung war eine regelrechte Spelunke gewesen, in der rund um die Uhr ihre Saufkumpane lärmten, allen voran ein gewisser Iwan Rjurikow, genannt Rjurik, aus dem Nebenhaus. Vor einigen Jahren hatte Sima ihre Wohnung an Kaukasier verkauft und war zu Rjurik gezogen. Eine Zeitlang lebten sie in Frieden und Eintracht zusammen, doch als das Geld alle war, stritten sie sich erbittert. Sima wollte zurück nach Hause und konnte lange nicht begreifen, dass sie kein Zuhause mehr hatte. Sie belagerte das Milizrevier, schwor, die Kaukasier hätten sie falsch verstanden, sie habe ihre Wohnung gar nicht verkaufen, sondern nur für ein Jahr vermieten wollen. Schließlich ließ sie sich auf einem Treppenabsatz zwischen zwei Etagen in ihrem ehemaligen Haus nieder. Anfangs verhielt sie sich still; rührend zusammengerollt schlief sie auf einer Kindermatratze. Draußen herrschte ein strenger Winter, die Mieter bedauerten Sima, brachten ihr heißen Tee und etwas zu essen und luden sogar ein Fernsehteam ein. Sima hielt vor der Kamera eine flammende Rede: Ihre schlimme Lage sei das Ergebnis der kriminellen Verquickung von korrupten Bürokraten der Wohnungsverwaltung mit der kaukasischen Mafia. Nun im ganzen Land berühmt, wurde Sima übermütig, lud Gäste zu sich auf den Treppenabsatz ein, und da hatte die Geduld der Mieter ein Ende. Mit Hilfe der Miliz wurde Sima samt Matratze hinausgesetzt. Nach kurzem Umherziehen von Bahnhof zu Bahnhof kehrte sie wieder zurück, allerdings nicht ins Treppenhaus, sondern zu Rjurik. Doch ihr aufsehenerregendes Fernsehdebüt hatte eine seltsame
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