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Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Das Haus der bösen Mädchen: Roman

Titel: Das Haus der bösen Mädchen: Roman
Autoren: Polina Daschkowa
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Auswirkung auf ihr Wesen. Sie lechzte nun geradezu nach sozialem Kampf, sie wurde Stammgast bei Kundgebungen und Demonstrationen, egal welcher Art, Hauptsache, sie konnte nach Herzenslust herumschreien und im Mittelpunkt stehen.
    »Das ist doch ein Genozid an den Menschenrechten, echt«, jammerte Sima laut, weinte und rieb sich die verschiedenfarbigen,von blauen Flecken gerahmten Augen mit den Fäusten. »Diese Pracht lag auf dem Müll, warum sollte ich so was Schönes verrotten lassen?«
    »Hast du gesehen, wer den Korb weggeworfen hat?«, fragte Borodin zum dritten Mal.
    »Ich hab nichts gesehen und weiß von nichts. Da hab ich arme Frau einmal im Leben Glück, und Sie wollen mir gleich einen Mord anhängen, Bürger Natschalnik! Sima hat im ganzen Leben keiner Fliege was zuleide getan, fragen Sie, wen Sie wollen, Sima würde ihr letztes Stück Brot mit einem streunenden Tier teilen, und du sagst so was! Wenn Sie’s genau wissen wollen, ich glaube an Gott, warum also sollte ich mir eine solche Sünde auf die Seele laden? Ich leide hier schon genug, soll ich etwa auch im Jenseits leiden? Die letzte Zeit ist angebrochen, bald kommt das Jüngste Gericht, da muss man sich für alles verantworten! Ich bin doch nicht mein eigener Feind!«
    »Stop – wie kommst du darauf, dass es um Mord geht?«, unterbrach Borodin.
    »Na, weil du gleich losgerannt bist, die Bullen holen, du alter Bock!«, kreischte Sima. Die Tränen waren im Nu getrocknet, ihre Augen funkelten böse. »Ihr Schweine habts doch alle drauf abgesehn, die Schwachen zu kränken, die Zeitungen haben ganz recht! Das gibts nur in unsrer Scheißdemokratie, solche Gesetzlosigkeit gegen die Rechte des gequälten Individuums! Aber wartet nur, auch für euer Diktat wird sich ein Richter finden. Ich hab keine Angst! Ich habe nichts zu verlieren als meine Ketten, ich sage alles frei heraus, ihr sollt die reine Wahrheit hören von einem einfachen russischen Menschen proletarischer Herkunft!«
    »Was meinst du denn mit Diktat, Sima?« fragte Borodin streng.
    Sima zwinkerte verwirrt, hustete und erklärte kategorisch: »Halt mich nicht für blöd, ja! Diktat, das ist, wenn man Unschuldige festhält und mitnimmt!«
    »Was soll dieser Ton, Simakowa?«, mischte sich der Revierchef ein. »Du hast wohl lange keine Nacht in der Zelle verbracht? Kannst du gleich haben, kein Problem.«
    »Glaub bloß nicht, du kannst mich einschüchtern!« knurrte Sima und lief rot an. Der frische dunkelrote Fleck unter ihrem rechten Auge war nun kaum noch zu erkennen, dafür leuchtete ein alter gelbgrüner umso stärker. »Ich bin so schon durch und durch krank an den Nerven. Nichts als Hunger und Kälte, nichts Positives. Ein einziges ökonomisches Tschernobyl.«
    »Du solltest weniger trinken und dich nicht dauernd auf Kundgebungen rumtreiben, wo du lauter schlaue Reden aufschnappst«, brummte der Revierchef. »Entschuldige dich und rede gefälligst wie ein normaler Mensch, stell meine Geduld nicht auf die Probe.«
    »Schon gut, zum Teufel mit euch. Ich entschuldige mich, kommt nicht wieder vor.« Sima verzog den Mund zu einem mädchenhaft schüchternen Lächeln und entblößte ihr lückenhaftes Gebiss. Ihre Stimmung wechselte von einem Moment zum anderen, von tränenreicher, klagender Hysterie zu trockener Bosheit, dann erneut zur Klage; und nun lächelte Sima plötzlich, beinahe kokett. »Wenn Sie gut zu mir sind, sage ich alles.«
    »In Ordnung, Sima.« Borodin nickte. »Also, im Guten: Woher weißt du von dem Mord?«
    »Ich hab doch gesagt, ich füttere die streunenden Tiere, teile meinen letzten Bissen mit ihnen, mit Hunden und Katzen. Die Tiere spüren alles, besonders die Hunde. Haben Sie mal gehört, wie ein Hund nach einem Verstorbenen jault? Sie spüren einen Toten auf einen Kilometer, und ich genauso. Ich sag ja, ich bin quasi eine Hellseherin. Ich halte die Nase in die Luft und wittere das. Aber du, entschuldige, du bist doch anscheinend ein kultivierter Mann« – sie maß Borodin mit einem tadelnden Blick –, »warum fragst du nicht ganz ruhig, Sima, woher hast du den Korb mit der Wolle? Stattdessenstarrst du mich an, als wär ich dir eine Pulle Wodka schuldig, und rennst weg. Ich hab gleich gewusst, dass du wiederkommst, ich habs gespürt, dass ich verschwinden sollte, aber ich wollte Rjurik nicht wecken, er hat so schön geschlafen an der frischen Luft, mein Süßer, so schön geschlafen hat er. He, Rjurik, sag ihnen, dass wir nichts gesehen haben, stimmt doch, oder?«
    Rjurik
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