Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
Kopf in den Rachen eines Löwen legend undsogar aus einer Kanone fliegend. Außerdem hing da ein ziemlich scheußliches, aber sehr auffälliges Ölgemälde – allerdings nicht im Stil Fragonards, sondern eher in Rubensscher Manier. Jedenfalls zeigte es Miss Flame in der Pose (und im Kostüm) der Bathseba. Ihre üppigen Formen, selbst wenn der Maler sie ein wenig übertrieben haben mochte, waren wirklich beeindruckend.
    »So sah sie einmal aus, die fatale Liebe des armen Geoffrey«, sagte Miss Palmer, während sie das Bild betrachtete. »Tja, sie hat sich verändert. Jetzt kann man sie mit Fug und Recht seine alte Flamme nennen.«
    Das Wortspiel mit Miss Flames Namen gefiel Fandorin, und er lächelte.
    Dann erschien die Hausherrin. Sie brachte einen Krug Grog und drei Gläser mit, und sie hatte sich obendrein umgezogen – sie war geübt in blitzschnellem Kostümwechsel. Nun trug sie einen weiten, ganz mit Goldfäden durchwirkten Umhang und auf dem Kopf einen schillernden Seidenturban.
    »Molly Flame – ist das ein Künstlername?«, fragte Fandorin, getreu der alten Regel der Vernehmungsführung: Frage zunächst nach etwas, worüber das Objekt gern redet. »K-klingt hübsch.« »Den hab ich mir selbst ausgedacht«, sagte die Gastgeberin stolz, leerte ihr Glas in einem Zug und schenkte sich erneut ein. »Siebzehn Jahre lang erregte dieser Name Aufsehen im ganzen Südwesten, von Gloucester bis Weymouth, von Falmouth bis Salisbury! Hätte mich neunundsechzig nicht der Löwe gebissen … Mit Zaubertricks allein kommt man nicht weit.«
    »Wie – gebissen?!«, fragte Fandorin entsetzt. »Mein Gott!«
    Sie ging zu einem der Plakate und tippte mit dem Finger auf den Löwen.
    »Der hier. Er hieß Chuck. Zähne wie Fleischermesser. Aber eigentlich war ich selber schuld. Ich hatte vergessen, meine Haarnadel rauszunehmen. Und da hat er sich gepikt. Ich hab mit knapperNot meinen Kopf aus seinem Rachen gekriegt. Hier, sehen Sie.«
    Die gewesene Zirkusartistin senkte den Kopf und schob den Turban hoch. An ihrem Nacken und ihrem Hinterkopf verliefen lange, furchenähnliche Narben.
    Fandorin stieß einen Pfiff aus, Miss Palmer rief »oh!«, und von da an lief das Gespräch wie geschmiert.
    Nach rund anderthalb Stunden Bericht von einstigem Ruhm und beim dritten Krug Grog kam die Rede auch auf Graf Berkeley – offensichtlich die aufregendste Episode in der Karriere der Löwenbändigerin und Herzensbrecherin. Nach Aufzählung sämtlicher Dummheiten, die der verliebte Graf ihretwegen begangen hatte, kam Miss Flame endlich zu jenem schicksalhaften Tag, an dem Seine Erlaucht, von einem Hirnschlag getroffen, auf ihrer Schwelle zusammengebrochen war.
    »Am Ende war Jeff total verrückt. Was er alles angestellt hat! Eines Tages kommt er zu mir, mit funkelnden Augen. Liebst du mich bis ans Grab? Ich sage: Aber ja – was sollte ich schon sagen, wo seine Lippen so bebten und seine Augen voller Tränen waren? Ich habe mir alles überlegt, sagt er. Niemand wird uns je trennen. Wir werden Seite an Seite liegen, wie Romeo und Julia. Dann quasselte er was von wegen Testament und Galaxy. Kurzum – er redete Stuss. Und plötzlich reißt er die Pistole raus! Ehrenwort! Ich zitterte am ganzen Leib. Hab keine Angst, sagte er. Ich weiß, Frauen fürchten sich vor Schüssen. Die Pistole ist für mich, für dich habe ich Gift dabei – und er gibt mir ein Fläschchen. Gut, dass ich nicht die Fassung verloren habe, ich war schon immer ein aufgewecktes Mädchen. Mit Verrückten soll man nicht streiten. Gut, ich nehme es, sage ich, aber du darfst dich auf keinen Fall erschießen. Das Testament eines Selbstmörders ist nämlich ungültig. Das wusste ich von einem Bekannten, er ist Barrister, und das fiel mir nun wieder ein. Ich nahm Geoffrey das Gift ab, goss es in ein Glas, kipptees runter und schmiss das Fläschchen gegen den Kamin, dass die Splitter flogen.«
    »Sie haben es getrunken – aber wie …?«
    »So.« Die Zirkusartistin nahm ein Glas aus der Anrichte, goss Grog ein, schüttete ihn hinunter und demonstrierte dann, dass das Getränk in einem geschickt versteckten durchsichtigen Glasröhrchen in ihrem Ärmel gelandet war.
    »Ein simpler Trick. Mit so was bin ich als fünfzehnjähriges dummes Gör aufgetreten. Jedenfalls, ich trank das Gift, wankte und hatte Tränen in den Augen. Haben Sie eine Ahnung, was für ein schauspielerisches Talent ich hatte! Sarah Bernhardt war mal bei einer Vorstellung in Bath – sie hat mir stehend applaudiert.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher