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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden
Autoren: Boris Akunin
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eine der feilgebotenen Waren entscheiden: Du kannst ehrlich sein oder ein Gauner; treu in der Liebe oder ein Wüstling; du kannst nach den Regeln des Edelmuts leben oder nach denen der Gemeinheit. Satan lockt die Käufer sehr geschickt an, indem er ihnen weismacht, Gaunerei und Gemeinheit seien viel einträglicher und als Wüstling lebe man viel angenehmer. Auch Gott sollte aufhören, auf seine Unanfechtbarkeit zu pochen, und die Regeln des Handels erlernen – wenn ihm nicht ganz egal ist, was aus uns wird. Um den Sieg des Guten über das Böse zu gewährleisten, braucht es gute Werbung, eine schöne Verpackung und einen Bonus für treue Kunden.«
    Fandorin lachte und küsste der Dame die Hand. Miss Palmer gefiel ihm außerordentlich.
    »K-kommen Sie, es ist Zeit.«
    Sie stiegen in einen Waggon zweiter Klasse und erreichten vierzig Minuten später Bath.

    Das Haus, in dem Graf Berkeleys einstige Passion lebte, lag in einer vom trüben Licht einer einzigen Gaslaterne beleuchteten Sackgasse.
    Miss Palmer betrachtete die blinden Wände der Nachbarhäuser und bemerkte: »An Mr. Parsleys Stelle hätte ich mich nicht allzu sehr auf die Aussage der Nachbarn verlassen. Geoffrey kann durchaus unbemerkt hier durchgeschlüpft sein, vor allem in der Dunkelheit kurz vorm Morgengrauen.« Sie schüttelte den Kopf, hob ihren Schirm ein wenig höher (es nieselte) und schritt mutig voran, bemüht, auf dem nassen Kopfsteinpflaster nicht auszurutschen. »Na dann, auf in den Kampf!«
    Wie schon das Aussehen der Behausung vermuten ließ, hielt Miss Frame keine Dienstboten und öffnete selbst die Tür.
    Im Türrahmen stand eine große, massige Person mit liederlichem, halb ergrautem Haar und musterte die ungebetenen Gäste drohend. Hinter ihr lag eine schmale, steile Treppe, die in den ersten Stock führte.
    »Was wollen Sie?«, fragte die furchterregende Person mit volltönender Stimme.
    Miss Frame war vermutlich einmal eine rotwangige Schönheit im Stil Fragonards gewesen, doch mit den Jahren war aus der hübschen Molligkeit Korpulenz geworden und aus dem pikanten Flaum auf der Oberlippe eine Art Schnurrbart. Fandorin konnte sich gut vorstellen, wie diese breitschultrige Amazone den armen Mr. Parsley mit ihren gewaltigen Armen die Treppe hinunterwarf. Erstaunlich, dass sie ihn überhaupt hinaufgelassen hatte.
    »Ach, ich weiß schon!« Miss Flame stemmte die Arme in die Hüften. »Sie kommen schon wieder wegen diesem alten Trottel Geoffrey? Noch mal lass ich mich nicht reinlegen! ›Nur zwei Worte unter vier Augen in einer wichtigen Angelegenheit, die direkt mit Ihnen zu tun hat‹, hat der alte Orang-Utan mit dem Backenbart gesagt. Pustekuchen! Lasst mich raus aus euremschmutzigen Streit! Schert euch zum Teufel! Das sage ich nicht noch einmal!«
    Da Fandorin sah, dass sie eine Frau der Tat war, blieb ihm nur eines: Er nahm erneut, wie bei dem afrikanischen Raubtier, Zuflucht zur Ki-Energie. Schließlich konnte er sich mit einer Vertreterin des schwachen Geschlechts nicht prügeln.
    Er sah sie durchdringend an, konzentrierte seine ganze innere Kraft auf diesen Blick, lächelte zugleich, da es sich ja immerhin um eine Dame handelte, und griff zur Waffe der verbalen Überzeugungskraft.
    »Meine Dame, es tut uns sehr leid, dass wir in Ihr Haus eindringen. Aber Miss Palmer hat einen langen Weg hinter sich und ist erschöpft und völlig durchnässt. Vielleicht dürften wir bei Ihnen ein wenig verschnaufen, bevor wir wieder gehen?«
    Ob nun die Ki-Energie gewirkt hatte, die Hausherrin womöglich weniger wild war, als es auf den ersten Blick schien, oder es noch einen anderen Grund gab – jedenfalls erwiderte Miss Flame, den Blick auf Fandorin geheftet: »Na schön. Sie können für einen Moment raufkommen. Ich mach Ihnen ein Glas Grog, aber mehr kriegen Sie von mir nicht.«
    Damit stapfte sie dröhnend voraus, die Treppe hinauf.
    Miss Palmer brauchte für den Aufstieg wesentlich länger. Womöglich spielte die alte Dame absichtlich die Gebrechliche.
    »Wie weise von mir, dass ich Sie mitgenommen habe«, flüsterte sie Fandorin zu. »Solche Frauen haben immer etwas übrig für Brünette mit blauen Augen.«
    Oben angekommen, standen sie in einem kleinen Salon. Miss Flame selbst war nicht da – sie kümmerte sich wohl um den Grog, sodass die Besucher sich ein wenig umsehen konnten. Das ganze Zimmer hing voller alter Anschläge und Plakate, die Miss Flame in den verschiedensten Posen zeigten: auf einem Pferd reitend, über ein Seil laufend, den
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