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Das Halsband des Leoparden

Das Halsband des Leoparden

Titel: Das Halsband des Leoparden
Autoren: Boris Akunin
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Eigenmächtigkeit verhaften. Ich denke, wir sollten besser die Polizei informieren.« »Davon rede ich ja – wir sollten zum Polizeirevier in Brislington fahren.«
    »Es ist also in Brislington?«
    Das war ein Städtchen auf der Strecke zwischen Bath und Bristol.
    Vor ihnen lag das Bahnhofsgebäude, hell erleuchtet von elektrischen Lampen.
    »Weshalb hinfahren?«, fragte Fandorin erstaunt. »Es ist schonspät, und Sie sind müde. Wir können doch vom Bahnhof aus einfach telefonieren.«
    »Ach, bin ich dumm! Dauernd vergesse ich die Errungenschaften des Fortschritts. Zeigen Sie mir, wie man in den Hörer spricht?«
    Das Telefonat musste dennoch Fandorin übernehmen – Miss Palmer brachte es nicht fertig, das unbekannte Fräulein mit »Hallo, Zentrale?« anzureden. Doch ihre Anweisungen für den diensthabenden Inspector waren ausnehmend klar und präzise.
    »Was, Sie kennen die Familiengruft der Berkeleys nicht? Ach so, Sie wurden erst vor kurzem hierher versetzt. Das ist ganz einfach, junger Mann. Sie gehen durch das Haupttor auf den Friedhof, laufen bis zur Mauer, wenden sich nach rechts, und am Ende der Allee sehen Sie das Mausoleum. Sie können es nicht verwechseln – auf dem Dach steht ein großer steinerner Bär mit einer Grafenkrone.«

    Kaum waren sie wieder zu Hause, Miss Palmer hatte gerade ihre Hutbänder gelöst und Fandorin seine Schirmmütze an den Haken gehängt, da klopfte auch schon der Butler.
    »Sie haben ihn gefunden!«, verkündete er aufgeregt. »Der Inspector aus Brislington hat angerufen! Der Graf ist gesund und munter. Er war in der Familiengruft – er hat dort friedlich geschlafen, mit Kränzen vom Nachbargrab zugedeckt. Sie bringen ihn gleich her!«
    »Hat der Inspector gesagt, dass ich ihm te-le-foniert habe?« Das schöne Wort bereitete Miss Palmer sichtliches Vergnügen.
    »Ja. Aber ich fürchte, Sie werden die Belohnung nicht bekommen. Die Tasche ist noch da, der Graf hat sie als Kopfkissen benutzt, aber das Collier ist nicht darin.«
    »Und das Testament ist auch weg?«, fragte sie.
    »Nein, das ist noch da. Nur das Collier fehlt. Ich denke, umgekehrt wäre es der Familie lieber gewesen«, erlaubte sich Mr. Parsleyin seiner gehobenen Stimmung zu scherzen. »Aber Seine Erlaucht ist doch ein Teufelskerl! Einen ganzen Tag und eine Nacht ohne Essen und Trinken, auf nackten Steinen, und das hat ihm gar nichts ausgemacht. Was für eine Kondition!«

    Die Heimkehr des verlorenen Vaters beobachteten die drei vom Fenster aus – man hatte es den Dienstboten streng untersagt, herauszukommen, wenn der Graf gebracht wurde.
    Die ganze aristokratische Familie war versammelt. Sogar die Kinder, obwohl es weit nach Mitternacht war.
    Der Titelerbe Lord Daniel lief händeringend auf und ab. Hochwürden Matthew Lynn betete mit zusammengezogenen Brauen. Der Ehrenwerte Tobias rauchte hustend eine Zigarre. Die Frauen des ältesten und des mittleren Bruders flüsterten mit den Kindern – vermutlich erteilten sie ihnen Anweisungen. Untermalt wurde die ganze Szene von einem nervösen Geheul aus dem Park – der Leopard Skalper missbilligte die nächtliche Unruhe.
    Endlich kam eine Kutsche durchs Tor gefahren. Der Inspector und ein Constable halfen dem in einen Polizeimantel und eine Pelerine gehüllten alten Lord behutsam heraus.
    Der älteste Sohn rannte mit einem Plaid in der Hand zu seinem Vater, der mittlere eilte mit dem Rollstuhl herbei, der jüngste bedankte sich bei den Gesetzeshütern und schob sie rasch zum Tor hinaus. Überflüssige Zeugen konnte die Familie nicht gebrauchen.
    »Was für ein Glück, dass Sie leben, lieber Vater!«, rief Lord Daniel.
    Hochwürden machte sich am Rollstuhl zu schaffen – schüttelte das Kissen auf und betätigte diverse Hebel.
    »Setzen Sie sich, lieber Papa! Hier, Ihr geliebter Rollstuhl, darin haben Sie es doch so bequem!«
    Graf Berkeley blickte sich misstrauisch um. Er wollte sich nicht in den Rollstuhl setzen, versuchte sogar, zum Tor zurückzuweichen, wurde jedoch an den Schultern gepackt.
    »Ich habe das große Schlafzimmer für Sie herrichten lassen«, gurrte Lady Lynn. »Es ist doch viel geräumiger und heller als Ihr Zimmer. Ach, dort werden Sie herrlich ruhen, lieber Vater! Aber gehen wir ins Haus. Sehen Sie nur, wie sehr sich alle freuen, dass Sie wieder da sind! Nun seien Sie doch nicht so störrisch.«
    »Ist Molly dort?«, mümmelte Seine Erlaucht.
    Alle schauten sich an, offenkundig ratlos, was sie sagen sollten.
    »Ich weiß, das Molly im Paradies
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