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Das Halsband der Königin

Das Halsband der Königin

Titel: Das Halsband der Königin
Autoren: Alexandre Dumas
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kämen auf dem Glatteis nicht von der Stelle; wenn es taute: Karren und Tiere blieben im Schlamm stecken. Das Holz wurde mehr und mehr rationiert. Vor den Holzhandlungen sah man ebenso lange Schlangen wie bald darauf vor den Bäckerläden.
    König Ludwig XVI. gab alles Geld seiner Privatschatulle für Almosen aus, Königin Marie-Antoinette spendete fünfhundert Louisdor zur Linderung des Elends, eine Summe, die freilich in keinem Vergleich stand zu den Millionen, die Angehörige des Hofes in jener Zeit der permanenten Finanzkatastrophen für nichts verschlangen.
    Weiterhin wurden durch zusätzliche Steuern drei Millionen zur Erleichterung der allgemeinen Not aufgebracht. Klöster, Hospi-täler, öffentliche Bauten und Denkmäler hatten den Obdachlosen Asyl zu bieten, und nach dem Vorbild der königlichen Schlösser wurden die Torwege der Palais den Armen geöffnet und auf den Ehrenhöfen Platz um ein großes Feuer gewährt.
    So hoffte man, das Frühjahr zu erreichen. Aber setzte auch hin und wieder schon Tauwetter ein, so daß Menschen, Tiere und Fahrzeuge im Wasser ertranken, da die Pariser Straßen nicht über Gossen und Abfl üsse verfügten und der geschmolzene Schnee in Massen der Seine zuströmte, so verwandelte scharfer Nachtfrost alles wieder in einen diamantenen Spiegel. Paris war übersät mit gestürzten Menschen, Pferden und Wagen.
    Lebensgefährlich waren die schweren Kutschen und fl inken Kabrioletts für die Fußgänger in den schmalen Straßen und Gassen der Innenstadt. Tag für Tag häuften Tausende von Arbeitern Schnee und Eis längs der Häuser auf. Da die Karren nicht aus-reichten, diese Wälle abzutransportieren, verschwanden die kleinen Läden bald dahinter. Wer aber in den nun noch verengten Straßen ein Gefährt nicht rechtzeitig hörte, wurde erbarmungslos gegen die Eismauern geschleudert und zerquetscht.
    Die Herrschaft der Aristokratie hatte unterschiedliche aristokratische Arten, einen Wagen zu fahren, hervorgebracht. Ein Prinz von Geblüt jagte daher, ohne auch nur einen Warnungslaut zu geben; ein Herzog, ein Edelmann, eine Operndame fuhren gestreckten Galopp; ein hoher Beamter oder ein Finanzier Galopp; der Stutzer lenkte eigenhändig sein Kabriolett wie auf der Jagd, und der Jockei auf dem Rücktritt schrie erst: »Vorsicht!«, wenn der Herr einen Unglücklichen schon niedergerissen hatte.
    Da raffe sich auf, wer noch kann.
    Die Polizei sah sich endlich veranlaßt, diejenigen, die Hunger, Kälte und Überschwemmungen entronnen waren, vor den Rädern der Noblen zu schützen. Man forderte ihnen Geldbußen ab, wenn sie arme Fußgänger verletzten.
    Nie war das Elend so groß wie Ende März, Anfang April, denn noch einmal war unerbittliche Kälte eingefallen. Paris erklärte sich besiegt und ließ den Winter gewähren. Seinem Charakter getreu, sang es Spottlieder auf den Tod durch Kälte und Hunger. Auf der mehrere Fuß tief gefrorenen Seine tummelten sich die Eisläufer.
    Müßige erbauten aus Schnee kühn aufragende Obelisken, wahre Kunstwerke der Vergänglichkeit, und mancher brotlose Literat versah sie mit schmeichlerischen Versen auf die Mildtätigkeit des Königs.
    An einem klaren Frosttag fuhren über den Cours-la-Reine und die äußeren Boulevards, wo der Schnee seine jungfräuliche Weiße bewahrt hatte, vier elegante Schlitten mit geschmückten Gespannen der Porte Saint-Denis zu. So mancher sah sie voll Bewunderung vorüberfl iegen, die eigene Not vielleicht für Sekunden vergessend.
    Von der Kirche Sainte-Croix-d’Antin schlug es eben fünf Uhr, als die Gefährte hielten. Auf das Zeichen einer der beiden Damen, die in dem zweiten Schlitten saßen, entfernten sich die übrigen Schlitten durch die Rue Saint-Denis, während der zweite in Richtung des Boulevard de Ménilmontant weiterfuhr.
    Daß jene Personen Damen waren, ließ sich einzig an den hohen Aufbauten ihrer reich gezierten Frisuren erkennen, auf denen ein kleiner Federhut wippte, so dicht waren sie in kostbare Pelze vermummt. Die eine der beiden, die größere, hoheitsvolle-re, die auch das Zeichen gegeben, hielt den Kopf stolz im scharfen Fahrtwind und preßte ein feines Batisttuch vor den Mund, denn mit der beginnenden Dämmerung hatte auch die Kälte wieder zugenommen.
    Die Kreuzung, an der man schließlich hielt, war menschenleer.
    In dieses entlegene Viertel wagte sich um die Abendzeit kein Bürger mehr ohne Stocklaterne und Begleitung: der Winter hatte die Zähne von drei- bis viertausend Hungerleidern verwegen
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