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Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Das halbe Haus: Roman (German Edition)

Titel: Das halbe Haus: Roman (German Edition)
Autoren: Gunnar Cynybulk
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Immer die Allgemeinheit, sagte der Vater. Doch weil der Junge ihn drängte, sagte der Vater ja.
    Manchmal, wenn er ein Rennen läuft, ereignen sich seltsame Dinge. Auch wenn ihm sein Vater oder seine Großmutter nicht zuschauen, sieht er sie an der Strecke stehen. Sie sprechen zu ihm, und er hört sie, als wären sie zu dritt in einem Raum. Sie sagen, dass er geduldig sein solle, auch an die Bewegung seiner Arme müsse er denken. Sie sagen, dass er schweben solle. Das tut er dann auch und schwebt ins Ziel, ohne sich an eine Anstrengung zu erinnern. Er stolziert umher, wenn er gewinnt, man kann nicht sagen, dass ihn alle dafür mögen. Der Trainer schon, der Vater auch. Ein- oder zweimal hat er an der Seite seines Vaters den Schatten einer Frau gesehen. Ihr Gesicht war nicht zu erkennen, sie war schlank und groß, hatte lange Haare und schwieg. Er sieht Menschen, die gar nicht da sind.
    Noch im Wäldchen hört er das Spektakel. Zuerst das Echo einer Lautsprecherstimme, unverständlich, dann wirklich eine Fanfare. Sein Herz schlägt höher. Obwohl es unnütz ist, trabt er auf die Klänge zu. Als die Lautsprecher Startzeiten bekannt geben, rennt er los, bis er die Waldkampfbahn erreicht, ein aus Stein und Holz gebautes Stadion, das zerfällt. Er fegt durch die Pendeltür in die dunklen Katakomben, läuft durch einen schummrigen Gang, biegt ab ins Licht. In diesem Licht schwimmen Wasserwesen, die langsam Gestalt annehmen: Wettkämpfer, Trainer und Kampfrichter. Auch der Junge taucht ein. Da liegt die rote Aschenbahn, das Rasenfeld, da sind die Sprunggruben und die Sprungmatten. Die sich wiegenden Pappeln hinter der Gegentribüne sind die größten Zuschauer. Im Wind knallen die Fahnen, und die Drahtseile an den Masten klingen. Es ist schön, wie das Licht mit den Blättern der Pappeln spielt. Dass gleich hinter Schön Scheiße lauert, dass sich Scheiße hinter Schön versteckt, das wird der Junge schon noch kapieren.
    Männer mit Klemmbrett werden von Kindern aller Altersklassen umringt. Am Hindernisgraben rasten seine Leute. Der Trainer spricht zu seinen Kameraden, die im Halbkreis um ihn sitzen. Sie sehen ihn und machen Zeichen, auch der Trainer winkt ihn eilig herbei. Jetzt ist er ruhig, und dass er ein Verbot bricht, hat er längst vergessen. Speere werden zum gekreideten Wurfsektor getragen und Hürden von einem Wägelchen gehoben. Da legt sich eine Hand auf seine Schulter. Er weiß es sofort und dreht sich nicht mal um.

2. Einen Ausflug machen
    Stundenlang fahren sie westwärts, ihr Kompass zeigt immer in eine Richtung. Der Vater sitzt am Steuer, der Junge ist sein Beifahrer. Wenige Kilometer vor ihrem Ziel biegt eine Kolonne Lastwagen in die Landstraße. Auf den Pritschen hocken Rekruten in Zweierreihen, junge Kerle mit geschorenen Köpfen. Sie lachen und haben Lutscher im Mund, deren Stiele zucken. Manchmal dreht so ein junger Kerl durch. Das steht dann nicht in der Zeitung, aber die Leute reden darüber. Es sei wieder einer abgehauen, besoffen rase der mit zwei Kalaschnikows und zig Magazinen durch die Gegend, sagen die Leute. Die Kinder müssen zu Hause bleiben, bis jemand Entwarnung gibt: Es habe einen Schusswechsel in der Nacht gegeben, der Durchgedrehte sei gefasst. Immer werden alle gefasst.
    Einer der Soldaten winkt dem Jungen zu und holt einen Lutscher hervor. Der Junge winkt zurück und nickt. Der Soldat wirft die Süßigkeit in den Graben, der Vater bremst nicht. Plötzlich sind die Soldaten verschwunden, kein Mensch und kein Wagen sind mehr da. Weithin sichtbar liegt das Land vor ihnen. Der Vater hält, kurbelt das Fenster herunter und zündet sich eine Zigarette an, die letzte für eine Weile: Club. In solchen Gegenden werden mit Vorliebe Uhren gefertigt und Stoffe gewebt. Gern wird hier Kinderspielzeug gedrechselt. Irgendwo hat mit Sicherheit ein Bauernkrieg gewütet. Es gibt Dörfer mit Schieferdächern, Kirchtürmen, Fachwerk. Es gibt dunkle Wälder, springende Bäche, Berg und Tal. Die Männer arbeiten seit je als Förster, Köhler, Jäger. Die Frauen klöppeln, häkeln oder nähen. Umlaute, wohin das Auge blickt. Die Küche ist gut in solchen Gegenden, Klöße aller Art und Wild mit sämiger Soße. Die Küche ist legendär, und der Sagenschatz ist es auch. Hexen, Zwerge, schlagmichtot.
    Viel interessanter sind allerdings die Sagen aus neuester Zeit. Im Gasthaus geht zu später Stunde die Rede von einem, der einen Geheimweg kennt. Der ist verliebt in die Dorfschönheit. Der Bruder der Schönen
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