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Das Hagebutten-Mädchen

Das Hagebutten-Mädchen

Titel: Das Hagebutten-Mädchen
Autoren: Sandra Lüpkes
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freute er sich auf eine Tasse Kaffee.
    Seike Hikken war schon eine bemerkenswert schöne Frau. Sie war die größte in der Volkstanzgruppe. Wo ihre Beine endeten, begannen bei den meisten anderen Frauen schon die Brüste. Ihre Haare waren blond wie Strandhafer, ihre Augen hellgrün wie die See. Sie entsprach auf angenehmste Art und Weise in jeder Hinsicht dem Klischee einer Friesin. Und sie hatte es auf ihn abgesehen. Er war erst wenige Stunden auf der Insel gewesen, da hatte sie bei ihm geklingelt, ihren zwei oder dreijährigen Sohn im Tragetuch, und hatte ihn auf eine Tasse Tee eingeladen. Einfach so. Sie wohnte ein paar Straßen weiter direkt an den Dünen, in einer unauffälligen Doppelhaushälfte in der Dellertstraße. Von ihren fünf Zimmern vermietete sie in der Saison drei. Sie hatten damals bis nach Mitternacht in ihrer gemütlichen Küche gehockt, der kleine Peer oder Piet, Axel Sanders konnte sich den Namen des Kleinen nie so recht merken, schlief schon längst oben im Zimmer, und als er dann gehen wollte, hatte sie ihm das Versprechen abgerungen, mal bei der Volkstanzgruppe vorbeizuschauen. Weil man noch Männer brauche und er doch so stattlich sei und einen musikalischen Eindruck mache. Und so war er dann in diese Kreise geraten. Dank Seike Hikken.
    Es war ein gutes Gefühl, als er sich das Shampoo mit den Fingerkuppen bis tief in die Kopfhaut einmassierte. Vielleicht würde doch noch etwas aus diesem Tag werden. Trotz aller Anzeichen einer nur haarscharf vermiedenen Alkoholvergiftung. Er hatte überlebt. Es war noch keine halb acht und er war wieder lebensfähig. Vielleicht würde er sich gleich einen kleinen Spaziergang zur Dellertstraße und ein ausgiebiges Frühstück bei Seike Hikken mit dotterweichem Fünf-Minuten-Ei gönnen. Nur noch den Conditioner auf den Kopf, speziell für den Mann ab vierzig. Soll das Haarvolumen steigern und gleichzeitig erste graue Strähnen abdecken. Mindestens zehn Minuten Einwirkungszeit.
    Kling kling!
    War es wieder dieses Geräusch im Ohr, diese Überreste an Trommelfellschwingungen vom letzten Abend, oder hatte es eben an der Haustür…
    Kling kling! Scheiße! Also doch kein guter Tag. Das Geräusch schellte ungeduldig und laut durch seinen leeren Flur. Es blieb ihm nichts anderes übrig, er musste tropfnass aus der Duschwanne treten, sich das Laken um die Hüfte und ein Handtuch um die Schultern legen und zur Tür. Inselpolizist war ein mieser Job. Zumindest auf Juist, wo man im Winter der einzige Ordnungshüter weit und breit und somit auch immer im Dienst war.
    Der kühle Märzwind zog durch die undichten Ritzen der Tür und ließ die Haare auf seinen Armen zu Berge stehen. Fast wären seine nassen Füße auf dem glatten Linoleumboden ausgerutscht, und es klingelte immer noch. Dieser Idiot, dessen Gestalt Axel Sanders durch die Milchglasscheibe der Haustür schemenhaft erkennen konnte, dieser fürchterliche Idiot. Endlich war er an der Tür, die er wütend öffnete. Vor ihm stand der Türke. Der die Pferdeäpfel wegmachte. Er hatte ihn schon oft gesehen, dieser große, dünne Mann mit dem tiefschwarzen Vollbart gehörte fest zum Juister Straßenbild, doch gesprochen hatte Axel Sanders noch nie mit ihm. Nun blickte der Türke ihn ganz aufgeregt an.
    »Es ist ein toter Mann…«, begann er.
    Sanders bibberte. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann kommen Sie bitte erst herein. Es könnte nämlich sein, dass ich sonst ein toter Mann bin.«
    »Es ist kein Witz, Herr Polizei, kein Witz!«, überschlug sich der Straßenfeger und lief hektisch mal vor, mal hinter Sanders, als der versuchte, den Flur entlang ins Büro zu gelangen.
    »Bitte warten Sie einen Moment hier in meinem Arbeitszimmer. Wie Sie sehen, muss ich mir schnell etwas überziehen.« Sanders schubste den Mann fast in den Raum, dann hastete er zitternd zurück ins Bad und hatte dabei das Gefühl, seine Füße seien bereits abgestorben vor Kälte.
    Er überlegte kurz, sich die Spülung aus den Haaren zu waschen, doch das würde zu lange dauern. Wenn er richtig verstanden hatte, dann ging es hier um einen Leichenfund. Und der Türke sah ziemlich aufgeregt aus, kein Zweifel. Also blieb die klebrige Masse auf dem Kopf. Er streifte sich nur schnell seinen Jogginganzug über, die Uniform konnte er später noch anziehen. Fürs Erste musste es so gehen.
    Der Mann stand noch immer genau so da, wie Sanders ihn ins Büro geschoben hatte. Mit hängenden Schultern und der dunkelblauen Pudelmütze in der Hand, als sei er
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