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Das Hagebutten-Mädchen

Das Hagebutten-Mädchen

Titel: Das Hagebutten-Mädchen
Autoren: Sandra Lüpkes
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zum Beispiel.«
    Wieder nickte der Mediziner und holte ein Thermometer aus dem Koffer, beugte sich über die Leiche und strich ihr mit dem Messgerät über die Stirn. »Er ist noch nicht lange tot. Nicht länger als ein oder zwei Stunden. Was meinen Sie, wann kommen Ihre Kollegen vom Festland?«
    Sanders seufzte. Juist war so verdammt weit weg vom Rest der Welt. Bis die Truppe aus Aurich kam, würde sicher eine ganze Weile vergehen, auch wenn sie den Hubschrauber nahmen. Und bis dahin musste er hier am Tatort bleiben und aufpassen, dass es auf der Hauptverkehrsstraße der Insel keinen Tumult gab. Am besten wäre es, die Schaufensterscheibe mit einem Laken zu verhüllen. Ein Laken, wo sollte er jetzt ein Laken hernehmen? Es gab keinen Kollegen, den er hätte schicken können, er musste den ganzen Scheiß irgendwie allein regeln, und das mit nassem Kopf, aufsteigender Übelkeit und Jogginghose. Vielen Dank auch.
    »Ich rufe sie jetzt an«, antwortete er endlich, tippte die altvertraute Nummer seiner ehemaligen Dienststelle ins Handy und stellte sich vor, wie Wencke Tydmers in ihren engen Jeans zum Telefon ging.

Samstag, 20. März, 8.51 Uhr
    A strid, hast du es gut, sagten ihre Freundinnen ständig. Astrid, ihr habt ein so schönes Haus und dieser Blick auf den Deich, und die Fliesen im Flur lassen sich so problemlos wischen, und dein Mann ist immer so auf sein Aussehen bedacht, Astrid, hast du es gut.
    Und so ein hübsches Kind, der Michel, gut in der Schule noch dazu. Und an Geld mangelt es auch nicht. Jedes Jahr drei Wochen Sonnenbaden auf Mauritius und dann noch eine Woche Schönheitsfarm in der Nähe von Hamburg. Obwohl, wofür Schönheitsfarm? Deine hübschen Naturlocken, das satte Dunkelblond, wie aus den Frisurenillustrierten, beneidenswert, und dazu diese Elfenfigur, kannst ja essen, was du willst, Astrid, deine Konfektionsgröße bleibt sechsunddreißig.
    Hatte sie es gut?
    Meine Güte, immer wieder diese Gedanken und am frühen Morgen waren sie am wenigsten zu ertragen. Astrid strich mit dem Tuch über das sanftbraune Holz des Treppengeländers und atmete den Geruch der Möbelpolitur ein. Nächsten oder vielleicht übernächsten Winter würde sie den Flur neu tapezieren müssen, an den Wänden waren feine Streifen zu sehen, die unvorsichtige Gäste bei der An und Abreise mit den riesigen Koffern verursacht hatten.
    Seit mehr als drei Jahren ging das nun schon so, sie beobachtete ihr scheinbar wunderbares Leben wie unter einem Mikroskop und erkannte immer mehr, dass es ein Gewebe mit riesigen Löchern und mit brüchigem Faden war.
    Es war nicht so, dass sie ihre Arbeit in der Villa Waterkant nicht gern tat. Sie liebte den Umgang mit den Gästen, die vielen Lebensgeschichten, die in ihrem Haus für ein paar Wochen zur Ruhe kamen. Und sie liebte dieses Haus, in dem sie eine glückliche Kindheit verlebt hatte. Obwohl es mit seinen zwanzig Zimmern nicht gerade klein war, war es doch immer gemütlich und warm. Es machte ihr auch nichts aus, die Zimmer in Ordnung zu halten und das Frühstück zu servieren. Für das Abendessen hatte sie in der Saison eine Köchin engagiert, die fleißig und sauber war, ein Glücksgriff. Den Garten machte ein polnischer Mann, der sonst im Hotel Dünenschloss als Gepäckfahrer angestellt war. Alles lief wie am Schnürchen. Es war nur ein bisschen zu viel.
    Und Gerrit mochte tatsächlich ein Mann sein, der auf sein Aussehen bedacht war, ja, er war geradezu attraktiv, wenn man ihn mit seinen Altersgenossen auf Juist verglich. Seine Leidenschaft war die freiwillige Feuerwehr, immerhin hatte er es schon zum Hauptlöschmeister gebracht. Er war zuständig für die Atemschutzgeräte und den ganzen Kram, von dem Astrid noch nie etwas verstanden hatte. Gerrit verbrachte also viel Zeit damit, Gott und der Welt Gefallen zu tun, und wenn dann noch ein bisschen Zeit übrig blieb, dann machte er die Männerarbeit in der Villa Waterkant. Er trank auch nicht, er wurde nicht laut, wenn er anderer Meinung war, und er stieg sicher nicht hinter ihrem Rücken in die Betten anderer Frauen. Doch in ihres stieg er auch nicht. Seit mehr als drei Jahren schon schlief er im Gästezimmer, ohne dass es zuvor einen Streit gegeben hatte.
    Alles ging seit Jahr und Tag seinen geregelten Gang. Die Gäste und das Geld kamen ins Haus, der Junge bekam von der ehelichen Flaute nichts mit – oder zumindest tat er so, als ob – und ihre Freundinnen seufzten immer:
    Astrid, hast du es gut.
    Die Stellen neben den
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