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Das Grab im Moor

Das Grab im Moor

Titel: Das Grab im Moor
Autoren: dtv
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legte Sara ihm die Hand auf den Arm und hielt ihn zurück.
    »Der Hund«, sagte sie. »Hunde sind auf Friedhöfen nicht erlaubt.«
    Karl band Sjölunds Hund am Zaun fest und trat dann mit einem Schaudern durch das Tor.
    Es hatte wieder angefangen zu schneien und ein leichter Wind war aufgekommen. Die kahlen Äste der Bäume hoben sich dunkel gegen den weißen Schnee ab. Abgesehen von seinen Freunden konnte Karl nicht die Spur eines Menschen entdecken. Eines lebendigen Menschen, fügte er in Gedanken hinzu, denn die alten Grabsteine zeugten nur zu deutlich von der Anwesenheit der Toten.
    Sebastian führte die kleine Gruppe über den Friedhof.
    »Hier ist es!«
    Sie waren vor einem Grabstein stehen geblieben, der ganz glatt und völlig frei von Moos war, sogar die Inschrift,
Kapitän Schwarzholz   – Memento Mori,
war so schwarz und deutlich, als wäre sie erst am Vortag eingraviert worden. Aber etwas anderes erschreckte sie noch viel mehr.
    Vor dem Stein, in einer schlichten Vase, stand eine einzelne weiße Lilie. Genau wie in der Spukgeschichte.
    Eine ganze Weile standen sie schweigend davor. Karl spürte, wie sich der nasse Schnee langsam einen Weg in seine Schuhe bahnte.
    »Ich muss jetzt nach Hause«, sagte Sara leise.
    »Ich möchte nicht, dass du dich da draußen im Moor herumtreibst.«
    Verärgert hantierte Großvater mit der Pfanne herum und schob ein paar Scheiben frisch angebratene Blutwurst auf Karls Teller, ehe er sich auch an den Küchentisch setzte.
    Karl verstand die Welt nicht mehr. Durchnässt und frierend war er nach Hause gekommen und hatte seinem Großvater erzählt, was sie gesehen hatten. Aber statt besorgt oder vielleicht sogar ein wenig beunruhigt zu reagieren, war sein Großvater wütend geworden.
    »Der Cholerafriedhof ist kein Spielplatz! Es ist respektlos, zwischen den Toten herumzutoben.«
    »Aber es war genau wie in der Geschichte«, murmelte Karl vorsichtig, während er mit der Gabel im Essen herumstocherte.
    Er verstand einfach nicht, warum Großvater sich so aufregte.
    »Es stand eine Lilie auf dem Grab. Ganz genau, wie Sebastians Bruder gesagt hat . . .«
    Da stand Großvater so energisch vom Tisch auf, dass Karl zusammenzuckte.
    »Dann wird es vermutlich auch sein Bruder gewesen sein, der diese Lilie dorthin gestellt hat«, schnaubte Großvater. Dann seufzte er. »Das ist doch wohl klar, oder?«
    Karl schwieg. Daran hatte er noch gar nicht gedacht. Plötzlich kam er sich ziemlich dumm vor. Offenbar sah er inzwischen schon überall Gespenster, sodass ihm die lächerlich einfachen und vollkommen natürlichen Erklärungen gar nicht mehr einfielen.
    »Ja, doch, vielleicht«, murmelte er beschämt. »Aber gruselig war es trotzdem. Und, sag mal, weißt du eigentlich, was
Memento Mori
bedeutet?«
    »Denk daran, dass du sterblich bist«, erklärte Großvater und unterstrich die Bedeutsamkeit seiner Worte mit dem Bratenwender. »Ein römischer Kaiser hatte einen Sklaven, der ihm das immerzu ins Ohr flüstern musste, damit er nicht zu überheblich wurde. ›Wie mächtig du auch sein magst, auch du wirst eines Tages sterben.‹«
    Karl fragte, warum das ausgerechnet auf Kapitän Schwarzholz' Grab stand, aber Großvater wusste es auch nicht.
    »Man weiß ja nicht einmal, wer dieser Kapitän Schwarzholz war«, sagte er. »Und das ist ungewöhnlich, denn wenn es in dieser Stadt etwas gibt, das wirklich alle beherrschen, dann sich gegenseitig im Auge zu behalten.«
    »Vielleicht war er ja gar nicht von hier?«, überlegte Karl. »Vielleicht kam er von außerhalb . . .«
    »Ja, das ist denkbar. Aber ganz gleich, wie es ist, ich möchte nicht, dass du dich abends auf dem Cholerafriedhof herumtreibst. Mit dem Moor und den Irrlichtern ist nicht zu spaßen.«
    »Aber Irrlichter gibt es doch gar nicht in echt«, sagte Karl. »Jedes Kind weiß doch, dass das nur brennende Gase sind. Die Menschen fürchten sich nicht mehr vor dem Moor.«
    »Sie vergessen schnell. Noch Ende der Sechzigerjahre ist ein Kind dort draußen umgekommen. Man hat sie oben bei der Kirche beerdigt. Ein kleines Mädchen namens Annie.«
    »Ich weiß«, sagte Karl. »Du hast mir von ihr erzählt.«
    »Ja. Aber habe ich dir auch erzählt, dass man munkelt, ihr Sarg wäre leer?«, fragte Großvater.
    Karl riss die Augen auf. Davon hatte er noch nie etwas gehört.
    »Angeblich wurde sie nie gefunden«, fuhr Großvater fort. »Die Kleine war eine gute Freundin von Sonja Svärd. Von deiner Rektorin also. Die zwei haben oft im Moor
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