Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Grab im Moor

Das Grab im Moor

Titel: Das Grab im Moor
Autoren: dtv
Vom Netzwerk:
ihres Umhanges und durch den Ruck fiel die Kapuze auf ihre Schultern und entblößte ihr dickes, dunkles Haar.
    Doch plötzlich bemerkten sie den Duft – den sauren Duft verwelkender Blumen und fauligen Wassers. Leander schnappte nach Luft, auch Stig keuchte auf.
    Anstatt des vollkommenen Gesichtes grinste ein Totenschädel die Jungen an.
    Da sahen sie auch, dass die ausgestreckten Armen weder Haut noch Muskeln hatten – und wie die Kleider an dem Körper des Mädchens herunterhingen! In Wirklichkeit gab es überhaupt keinen Körper, denn der Umhang verbarg nur die Knochen ihres grauen Skeletts.
    Das Mädchen war ein Gespenst.
     
    Der süßliche Geruch des Todes breitete sich über den ganzen Cholerafriedhof aus. Stig zitterte, Leander wollte schreien – aber kein Laut drang über seine Lippen. Das Mädchen blickte sie immer noch unverwandt aus großen, schwarzen Augen an, dann streckte sie ihre knochigen Arme nach ihnen aus. Die nackten Finger ihres Skeletts glichen Klauen.
    ›Wenn ihr mich lieb habt, nehmt mich in den Arm.‹
    Da rannten die Freunde los, getrieben von panischer Angst. Nur fort aus dem Moor, fort vom Cholerafriedhof. Sie rannten Seite an Seite, bis ihre Lungen vor Erschöpfung rasselten, und blieben erst stehen, als sie wieder in der Stadt und von dem beruhigenden Licht der Laternen und Öllampen in den Fenstern umgeben waren.
    ›Er hatte recht‹, keuchte Leander.
    ›Was meinst du?‹, hustete Stig. ›Wer hatte recht?‹
    ›Petter. Er hat doch gesagt, dass das Böse auf dem Friedhof lauert. Er hatte recht.‹
    Stig nickte. Sie waren ziemlich gemein zu Petter gewesen, seit er an dem Abend damals weggelaufen war. Wann hatten sie ihn überhaupt zum letzten Mal gesehen? Sie beschlossen, sofort zu ihm zu gehen, obwohl es schon spät war.
     
    Sie klopften an Petters Haustür und baten seine Mutter um Entschuldigung für die späte Störung, doch sie müssten Petter wirklich dringend sprechen.
    ›Aber er ist gar nicht zu Hause . . . das müsstet ihr beide doch wissen? Er wollte doch heute bei Stig übernachten. Oder doch bei dir, Leander? Aber Himmel, wo ist denn der Junge?‹
    Leander und Stig schauten sich an. Hatte Petter sie ausgerechnet heute suchen wollen? Dann gab es nur einen Ort, an dem er sein konnte.
    ›Oh, ach so‹, wiegelte Leander ab. ›Keine Sorge. Wir haben uns sicher nur missverstanden. Wir dachten, wir sollten ihn abholen. Dann gehen wir jetzt einfach nach Hause, dort werden wir ihn schon treffen.‹
    So brachen sie wieder auf, zurück in die Dunkelheit. Denn Petter war zum Cholerafriedhof gegangen, um sie zu finden. Dorthin, wo das Geistermädchen nach der Liebe suchte.
     
    Leander und Stig liefen, so schnell sie konnten, und tatsächlich sahen sie Petter schon aus einiger Entfernung. Er stand vor Kapitän Schwarzholz' Grab. Stig lachte vor Erleichterung laut auf. Sie hatten es geschafft, bevor das Gespenst zurückgekommen war.
    ›Petter! Hier sind wir!‹, rief Leander.
    Aber Petter antwortete nicht. Er starrte nur weiter auf das Grab zu seinen Füßen. Als sie näher kamen, sahen sie, dass er die weiße Lilie betrachtete, die in einer Vase vor dem Stein stand.
    ›Du hattest recht‹, sagte Leander, als er auf ihn zuging. ›Hier auf dem Friedhof lauert das Böse.‹
    ›Entschuldige, dass wir so dumm waren‹, murmelte Stig unsicher.
    Es fiel ihm schwer, um Verzeihung zu bitten, sogar dann, wenn er wirklich wusste, dass er einen Fehler gemacht hatte.
    Freundschaftlich legte Leander Petter die Hand auf die Schulter.
    ›Habt ihr mich lieb?‹, fragte Petter leise.
    Verwundert schauten Stig und Leander sich an.
    ›Aber natürlich mögen wir dich‹, sagte Leander.
    ›Ja, du bist doch unser Freund‹, fuhr Stig fort.
    Da hob Petter den Blick und sah seine Freunde mit leeren, schwarzen Augen an und streckte die Arme nach ihnen aus.
    ›Wenn ihr mich lieb habt, nehmt mich in den Arm.‹«

Kapitel 5

    Ein Lächeln breitete sich auf Sebastians Lippen aus, als er Karls Gesichtsausdruck bemerkte.
    »Mein Bruder«, flüsterte er und beugte sich zu ihm. »Mein Bruder hat erzählt . . .«
    »Dein Bruder ist ein Schwätzer«, fiel ihm Oskar ins Wort.
    Aber seine Stimme war schon nicht mehr so selbstsicher.
    Sebastian schob das knirschende Tor auf und winkte einladend mit den Armen. »Kommt, wir sehen es uns einfach an.«
    Karl holte tief Luft. Er musste es als Mutprobe betrachten. Sich selbst beweisen, dass er es schaffte.
    Er hatte gerade den ersten Schritt gemacht, da
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher