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Das Gold des Columbus

Das Gold des Columbus

Titel: Das Gold des Columbus
Autoren: Christa-Maria Zimmermann
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und suchten sich die aus, die ihnen geeignet schienen. Seeleute, die erst kürzlich an Land gekommen waren, saßen mit Freunden zusammen und erzählten von ihrer letzten Reise. Passagiere erkundigten sich nach Abfahrtszeit und Ziel der Schiffe und nach den Kosten für einen Platz an Bord. Kaufleute suchten die günstigste Beförderung für ihre Waren.
    Priester, Nonnen und Kirchgänger gingen zu den Messen und Andachten, gefolgt von Steinmetzen, Malern und Bildhauern, denn die Kathedrale war immer noch nicht ganz fertig, obwohl schon seit hundert Jahren an ihr gebaut wurde - aber dafür war sie auch eine der größten und schönsten der gesamten Christenheit. Krüppel, Lahme, Blinde und Bettler kauerten vor den Portalen. In den Bogengängen um den Kathedralenplatz hatten Schreiber ihre Pulte aufgestellt und verfertigten Kontrakte für Fracht, Passagen und Heuer, die dann in den Büros der Notare unterschrieben wurden.
    Pablo beobachtete durch halb geschlossene Lider einen Mann, der eine Stufe unter ihm saß. Eigentlich war es kein Mann, sondern ein Herr, das sah man an den Kleidern aus feinen Stoffen und an der pelzverbrämten Kappe, die er achtlos neben sich gelegt hatte. Außerdem hielt er ein kleines Buch in der Hand, in dem er ab und zu eine Seite umblätterte, und nur Reiche konnten sich Bücher leisten.
    Aber er schien nicht wirklich zu lesen, sondern die Leute zu beobachten, denn immer, wenn jemand eilig die Stufen herauflief, streckte er blitzschnell ein Bein vor, sodass der Eilige darüber stolperte, und rief laut: »Au! Auweh!« Dann entschuldigte sich der andere mit vielen Worten, und der Herr rief erfreut: »Nein, wie schön! Ein Landsmann!« Darauf unterhielten sich die beiden eine Weile und tauschten Neuigkeiten aus, und nachdem sie sich verabschiedet hatten, ging das Spiel von neuem los.
    Was Pablo am meisten verwunderte, war der ständige Wechsel der Sprachen und Dialekte. Denn ganz gleich, ob der Stolpernde aus Kastilien oder Aragon oder Andalusien kam oder sogar aus Mallorca oder Genua - Miguel hatte seinem Bruder ein paar Brocken von diesen Sprachen beigebracht -, der Herr redete immer so flüssig mit ihm, als ob er sich in seiner Muttersprache unterhalten würde.
    Eine volle Stunde lang ging das so, dann begannen die Glocken in der Giralda 17 das Mittagsläuten. Die gewaltigen Töne übertönten alle anderen Geräusche. Die Menschen erhoben sich von den Stufen oder blieben auf ihrem Weg zu den Portalen stehen, falteten die Hände und beteten den Angelus, auch Pablo und der fremde Herr neben ihm. Alle bekreuzigten sich, als die Glockentöne schwächer wurden und verebbten.
    Die Menschen gerieten wieder in Bewegung. Am Fuß der Treppe erschien ein Schwarzer in einem langen bunten Gewand, dann tauchte ein zweiter aus der Calle del Mar auf. Niemand drehte sich nach ihnen um. Sklaven aus Afrika waren eine Zeit lang außergewöhnlich gewesen, aber inzwischen hatte jeder einen, der seinen Reichtum beweisen wollte.
    Pablo kannte die beiden. Der eine gehörte einem dicken Kaufmann, der andere einem Grafen, der ein Stadtschloss in Sevilla hatte. Sie begrüßten sich, blieben stehen und sprachen miteinander. Der Herr sprang die Stufen hinunter und stellte sich neben die beiden, wobei er das Buch in einen Beutel am Gürtel schob. Seine Kappe ließ er liegen. Die Schwarzen blickten ihn verwundert an, woraufhin er sich verneigte und mit vielen Gesten etwas zu erklären schien.
    Pablo wäre ihm gerne gefolgt und hätte zugehört, aber in diesem Augenblick merkte er, dass ein kleines Mädchen unauffällig auf die Kappe zurutschte. Füße, Hände und Gesicht starrten vor Schmutz, ihre Kleidung bestand aus Lumpen, die schwarzen Haare hatten bestimmt seit Monaten weder Kamm noch Wasser gesehen. Die Kleine schob sich immer näher und breitete schon ihre durchlöcherte Schürze über die Kappe, als Pablos Hand nach vorne schoss und beide festhielt.
    »Weißt du nicht, dass Diebe ausgepeitscht werden?«, fragte er streng.
    Das Mädchen fuhr zusammen wie unter einem Schlag und starrte ihn einen Moment fassungslos an. Dann sprang sie auf und verschwand im Gewimmel der Menschen auf den Treppen. Ein Teil der Schürze blieb in Pablos Hand zurück. Er lief zu dem Eigentümer hinunter und schwenkte die Kappe.
    »Señor! Ich habe sie! Beinahe wäre sie gestohlen worden.«
    Der Herr drehte sich um. Auf den ersten Blick erinnerte sein Gesicht Pablo an einen Kaplan von Santa Catalina. Das war eine reiche Pfarrei und die Priester
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