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Das Glück mit dir (German Edition)

Das Glück mit dir (German Edition)

Titel: Das Glück mit dir (German Edition)
Autoren: Lily Tuck
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Solisten debütieren – war Iris auch so eins? Sie sieht sie klein und brav mit einem Haarreif auf der Klavierbank vor dem Steinway-Flügel sitzen und mit den Füßen nach den Pedalen angeln, bevor sie zu spielen beginnt. Ihre kleinen Hände bewegen sich schnell und sicher, ihr Spiel klingt leidenschaftlich. Sie spielt Philips Lieblingspolonaise von Chopin – Nina kann die Melodie in ihrem Kopf hören   –, sie verspricht Erlösung und preist den Heldenmut der Polen. Waren sie in der Highschool ineinander verliebt und haben sie miteinander geschlafen? Vielleicht ist Iris schwanger und hat es gerade herausgefunden. Sie hat schon zweimal ihre Periode nicht gehabt und muss sich neuerdings nach dem Frühstück übergeben. Erst auf dem Heimweg von der Party im Wagen hat sie ihren Mut zusammengenommen und es Philip erzählt. Deshalb ist er von der Fahrbahn abgekommen.
    Nina beugt sich zu Philip hinab. Sie berührt ihn leicht an der Wange. Wie ist das passiert? Wie ist das möglich?
    Philip ist so kraftvoll, so gesund, so – sie sucht nach den richtigen Worten – er steht so mitten im Leben.
    Komm zurück, flüstert sie. Bitte, komm zurück.
    Wie kann er sie verlassen?
    Ohne Abschied.
    Ohne ein Wort.
    Bitte, sagt sie.
    Sie senkt den Kopf auf seine Brust und lauscht.
    Manchmal hat Philip abends zuhause Musik aufgelegt, sie in die Arme genommen und ist mit ihr in einem schnellen Two-Step zu La Vie en Rose durch die Eingangshalle getanzt, vorbei am Schirmständer, der Garderobe mit den vielen Mänteln und der Pastellzeichnung eines Schiffes, dessen Bug wie ein Hundekopf geformt ist.
    Ihr Kopf reicht bis an sein Schlüsselbein, sie kann sein Herz schlagen fühlen.
    Seine Schuhe stehen auf dem Boden neben dem Bett. Altmodische, ausgelatschte, braune Oxford-Schnürschuhe. Einer liegt auf der Seite. Verlassen. Ob sie die Schuhe aufsammeln und in den Schrank stellen soll? Nein, sie lässt sie, wo sie sind.
    Sie räumt Philips Sachen auf. Es ärgert sie – nein, schlimmer: Es macht sie wütend. Seine Socken, seine Unterwäsche, alles liegt herum, damit sie es einsammelt, aufhängt, in den Wäschekorb wirft. Erst schimpft sie, lässt es aber bald sein, genervt vom beleidigten Ton ihrer eigenen Stimme und der Nutzlosigkeit ihrer Worte.
    Unordnung, das hat sie irgendwo gelesen, ist bei einem Mann ein Zeichen, dass ihn seine Mutter verhätschelt und verwöhnt hat. In Philips Fall trifft das nicht zu.
    Alice, die Mutter von Philip, lebt dreißig Kilometer entfernt in einem Altersheim. Als Nina und Philip sie das letzte Mal besuchten, wusste sie nicht so richtig, wer sie waren. Stets höflich, erzählt sie gerne von Leuten, von denen Nina noch nie gehört hat: von Rick, der den Kamin aus Ziegeln gemauert hat – Belanglosigkeiten. Nina lässt ihre Gedanken schweifen. Sie hat Tulpen aus dem Garten mitgebracht, sie gefallen Philips Mutter.
    Ich habe Bougainvilleas immer gemocht, sagt sie zu Nina.
    Tulpen, Mutter, versucht Philip sie zu korrigieren. Tulpen aus unserem Garten.
    Francis, mein Mann, liebte Bougainvilleas, fährt Alice fort. Unser Garten in Ouro Preto war voller Bougainvilleas.
    Ouro Preto? Wo ist denn das?, fragt Nina und spitzt die Ohren.
    In Brasilien, antwortet Philip. Ich habe dir doch erzählt, dass sie kurz nach ihrer Hochzeit, bevor Harold und ich auf die Welt kamen, ein Jahr in Brasilien waren. Ouro Preto war ursprünglich eine Goldgräbersiedlung, der Name bedeutet »Schwarzes Gold«. Heute ist es eine Universitätsstadt. Sie ist voller überladener Barockkirchen – ich habe die Fotos gesehen, die sie gemacht haben. Mein Vater hatte dort irgendein Forschungsprojekt. Danach haben sie ein Jahr lang in Mexiko gelebt.
    Seltsam, woran sie sich erinnert, sagt Philip auch.
    Wie hat es dir in Ouro Preto gefallen?, fragt Nina und beugt sich zu Alice hinunter. Sie spürt eine Welle von Zuneigung für die alte Dame, die in einem verblassten blauen Kleid in ihrem Rollstuhl sitzt und deren bleiches, verrunzeltes Gesicht plötzlich zum Leben erwacht ist.
    Oh, ja, sagt Alice. Ich erinnere mich, wie wir abends, wenn Francis von der Arbeit nach Hause kam, zur Stadt hinaus auf die Anhöhen spaziert sind und auf Ouro Preto hinabgeschaut haben. Wir konnten die goldenen Kirchturmspitzen in der Sonne glitzern sehen. Ich erinnere mich, dass wir einen kleinen Hund hatten. Sie lächelt. Er hieß Kilo.
    Was für ein Hund war das denn?, fragt Nina. Sie möchte, dass Alice sich erinnert.
    Ein kleiner Hund, der uns zugelaufen ist. Er war
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