Das Glück mit dir (German Edition)

und aufgewachsen ist, so ein begeisterter Segler werden konnte. Niemand sonst in seiner Familie hat diese Ader.
    Es fing mit Rudern auf dem Charles River an, erzählt er Nina. Eines Tages, an einem Wochenende vor dem Memorial Day, nahm mich mein Zimmergenosse zum Segeln auf dem Boot seiner Familie mit, einer Elfmeter-Ketsch mit Namen Mistral – ich konnte damals noch nicht einmal Backbord und Steuerbord unterscheiden   –, und wir segelten zu Martha’s Vineyard hinüber. Der Wind war perfekt, und ich werde nie den Frieden vergessen, den ich in dieser Nacht empfand, als ich an Deck lag, zu den Sternen hinaufsah und lauschte, wie das Wasser gegen den Schiffsrumpf klatschte. Auf merkwürdige Weise war es ein Augenblick, in dem ich mich – wie soll ich es nur beschreiben – ganz eins mit mir fühlte. Eins mit der Welt und dem Universum.
    Vielleicht war das der Augenblick deiner Erleuchtung, meint Nina.
    Nicht sehr wahrscheinlich, antwortet Philip.
    Ich war drauf und dran, mein Hauptfach zu wechseln, von Mathematik zu Astronomie, und ich schwor mir, eines Tages auch ein Boot zu haben.
    Im Keller steht eine klapprige Rudermaschine, Nina hat sie schon seit Jahren kaum noch surren hören. Sie kämpft darum, das Ding rauszuschmeißen. Nutzloser altmodischer Plunder, argumentiert sie. Nichts als ein Brandrisiko.
    Jetzt kann sie sie endlich loswerden.
    Sie wirft einen kurzen, beinahe verstohlenen Blick aus dem Fenster. Die Nacht ist sehr dunkel und still. Sie sieht keine Sterne mehr. Wie hat Philip gerne gesagt? Mit einem kühnen Astronomen kann ich mehr anfangen als mit ein paar hübschen Sternen . Sie ist anderer Meinung. Sie zieht die Sterne jederzeit einer Theorie vor.
    Es ist sicher schon spät, stellt sie fest.
    Sie braucht mehr Wein. Diesmal wird sie die Flasche mit nach oben nehmen.
    Es wird nichts dagegen haben, denkt sie.
    »Ganz allgemein kann man sagen«, könnte Philip ihre Untreue in einen kleinen Unterrichtsexkurs ummünzen, »wenn wir ganz sicher sind, dass meine Frau mir treu ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie eine Affäre hat, 0; sollten wir aber herausfinden, dass sie doch eine Affäre hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit 1. In Zahlen ausgedrückt rangiert ihre Untreue zwischen 0 und 1 – von Unmöglichkeit bis zu Gewissheit. Die Wahrscheinlichkeit, dass meine Frau untreu ist, beträgt also 1 durch 2, weil es nur diese beiden Möglichkeiten gibt: Entweder sie hat eine Affäre, oder sie hat keine Affäre.«
    Eines Nachmittags, als sie mit Jean-Marc im Bett liegt, klopft es an der Haustür und jemand ruft Ninas Namen – die Vermieterin, um nach dem neuen Kühlschrank zu sehen oder um ihr frischen Salat aus dem Garten zu bringen.
    Un moment , ruft Nina nach unten. J’arrive.
    Nur halb angezogen und mit den Schuhen in den Händen, klettert Jean-Marc aus dem Schlafzimmerfenster. Er springt und landet auf den Füßen. Im nächsten Augenblick setzt er über die Hortensienhecke und ist verschwunden.
    Jean-Marc hat den festen, muskulösen Körper eines Turners.
    »Nehmen wir ein anderes Beispiel«, fährt Philip fort. »Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand unbeschadetüber eine Straße kommt, ist ebenfalls eins durch zwei, weil es nur zwei Möglichkeiten gibt: Die Straße ohne Unfall überqueren oder nicht. Das Problem ist hier jedoch, dass die beiden möglichen Ergebnisse – die Straße unbeschadet überqueren oder überfahren werden – nicht dieselbe Wahrscheinlichkeit besitzen. Wäre dies so, dann würde man es möglichst vermeiden, eine Straße zu überqueren, oder es würde viele Verletzte und Tote geben. Hier ist also ein Trugschluss verborgen. Die Definition von Fermat und Pascal gilt nur, wenn wir für eine Situation gleichermaßen wahrscheinliche Ausgänge annehmen können. Das bringt mich zurück zu meinem ersten Beispiel – und um Sie zu beruhigen«,   – ein paar Studenten lachen – »da ich weiß, dass meine Frau mir eine treue und liebende Gattin ist, ist es nicht wahrscheinlich, dass sie untreu ist und eine Affäre hat.«
    Allgemeines Gelächter und Applaus.
    Vertrauen ist ein Wort, in das wir zu viel Vertrauen setzen, erzählt Philip seinen Schülern auch gern.
    Und dann wieder Iris.
    Stammte Iris aus Wisconsin, so wie Philip? Eine blonde Schönheit mit skandinavischen Vorfahren – weißblond eigentlich. Und ein musikalisches Wunderkind. Nina hat von Kindern gelesen, die mit drei Jahren das Klavierspiel lernen, mit fünf ihr erstes Musikstück komponieren und mit sieben als