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Das Glück in glücksfernen Zeiten

Titel: Das Glück in glücksfernen Zeiten
Autoren: Wilhelm Genazino
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das Geschirr von gestern und heute. Traudel geht ins Bad, läßt wie üblich die Tür offen, so daß ich ihr beim Ausziehen zuschauen kann. Das geht auf einen Wunsch von mir zurück, der schon mindestens zehn Jahre alt ist. Sie legt ihren Tagesschmuck in eine Glasschale neben dem Heizkörper. Ihre Kleidung verteilt sie auf drei Haken an der Tür. Nachts drücke ich mir Traudels Rock manchmal gegen das Gesicht, weil ich ihren Körpergeruch einatmen will, was Traudel nicht weiß. Ich bin über das Spülbecken gebeugt und habe eine Idee: So ähnlich, wieTraudel über Tage hin das Verwelken der Rosen beobachtet, so ähnlich werde ich die Verwitterung meiner Hose auf dem Balkon beobachten. Ich werde die Hose auf dem Balkon aufhängen, sie dort aber nicht mehr (oder erst nach langer Zeit) wieder wegnehmen, weil ich von der Wohnung aus beobachten will, wie sich die Hose unter dem Einfluß des Wetters und des Klimas und des Staubs langsam auflöst und sich dann wieder (so stelle ich mir das vor) in einen Teil der Natur zurückentwickelt. Ich werde über diese Vorgänge ein Tagebuch der Verwitterung oder so etwas Ähnliches führen. Das alles sage ich Traudel nicht. Ich rufe nur in das offenstehende Badezimmer hinein: Traudel! Können wir morgen oder übermorgen in die Stadt gehen und eine neue Hose für mich kaufen?
    Denn Traudel will gerne dabeisein, wenn ich Kleidung kaufe; sie will verhindern, daß ich zu schnell die Lust dabei verliere und dann Billigzeug kaufe.
    Jetzt doch? So plötzlich? fragt sie halblaut.
    Ich bin einsichtig geworden, sage ich.
    Traudel lacht und glaubt mir nicht.
    Das hat doch bestimmt einen Grund, sagt sie.
    Den sage ich dir erst später, antworte ich.
    Du bist gemein, sagt sie.
    Ja, antworte ich, ich bin gemein.
    Traudel lacht.
    Das soll einer verstehen, spottet sie.
    Ich verstehe es auch nicht, sage ich.
    In der folgenden Nacht habe ich einen sonderbaren Traum. Ich war ein Straßenbahnführer (das wollte ich als Kind tatsächlich einmal werden). Allerdings war meine Straßenbahn leer. Ich sah Leute an den Haltestellen stehen. Sie warteten, daß die Straßenbahn hielt. Ich hielt jedoch nicht an, ich fuhr an den wartenden Leuten vorbei. Ich erwache,allerdings nur halb. Traudel liegt neben mir und schläft ruhig. Ich will über meinen Traum nachdenken, was mir nicht gelingt, weil ich aus meiner Halbwachheit nicht herauskomme. Außerdem bemerke ich, daß mein Geschlecht halb erigiert ist, wodurch mein Traum in den Hintergrund tritt. Ich fasse mich ein wenig an, so daß die Erektion rasch stärker wird. Ich schiebe mich an Traudels brötchenwarmen Körper heran. Ich bin kraftlos und ein wenig unentschlossen, grabe mit der Hand nach Traudels seitlich abgerutschter Brust, hebe sie nach oben und schiebe mir kindisch die Brustspitze in den Mund. Traudel wird wach, vielleicht war sie es schon zuvor. Ich habe den Eindruck (wir haben nie über diese Details gesprochen), daß Traudel Gefallen an meinem Liebesinfantilismus hat. Wenn wir zusammenstecken und der Samen aus mir herauszuckt, streichelt sie mir den Kopf wie einem Kind, dem man in einer schweren Stunde beistehen muß. Sie hat mir schon öfter gesagt, daß sie nichts dagegen hat, wenn ich sie nachts überfalle. Früher habe ich mir sogar gewünscht, sagte sie einmal, daß du mich nachts überrumpelst, dann schäme ich mich kaum. Ich drücke Traudels Schenkel auseinander wie die beiden Hälften eines schönen Gartentürchens. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß bei Frauen die Lippen, die Brustwarzen und das Geschlecht die gleiche Hautkonsistenz haben. Wer als Mann das eine küßt, möchte deswegen alles andere auch küssen. Man kann auch denken: Alle wichtigen Stellen der Frau sind zwei über den ganzen Körper verteilte Lippen. Wir geben uns keine besondere Mühe, es ist Nacht und wir sind immer noch nicht ganz wach. Und wir wissen, daß wir uns die Lässigkeit später nicht vorwerfen werden, das ist vielleicht das Beste. Mein nächtlicher Wunsch nach Nähe ist nichts weiter als eine stumme Bitte, eine kleine Bettelei, fast ein Hausiererbesuch. Ich bitte Traudel flüsternd, sie möge die Beine übermir zusammenschlagen, ich möchte umfangen sein. Der erste Versuch geht schief. Traudel hebt zwar die Beine an, läßt sie dann aber wieder absinken, auch sie ist schwach, was mir gefällt. Liebe ist sowieso nur ein anderes Wort für Schwäche. Der zweite Versuch gelingt, weil Traudel nicht nur die Beine über mir zusammenschlägt, sondern mich auch
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