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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies
Autoren: Petra Durst-Benning
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nicht. Nicht in dieser stickigen Amtsstube auf dem Sonneberger Rathaus, wo zwischen staubigen Aktenmappen Tod und Leben festgehalten wurden.
    Als Marie nach der Geburt starkes Fieber bekam, hatte ihnen lediglich der Arzt der Familie de Lucca zur Seite gestanden. Der Mann sprach weder Deutsch noch Englisch, so daß Wanda keine Möglichkeit hatte, sich mit ihm zu verständigen. Mehrmals hatte sie Francos Mutter, die Contessa, angefleht, man möge Marie doch in ein Krankenhaus bringen, weil es dort vielleicht bessere Mittel undWege gab, die eitrige Entzündung und das Fieber, das daraus entstanden war, zu behandeln. Doch die Contessa hatte vehement abgelehnt und darauf bestanden, daß ausschließlich der Familienarzt Zutritt zum Krankenzimmer bekam.
    Wanda schluckte. Hätte sie in diesem Punkt beharrlicher sein sollen? Hätte sie Marie nicht eigenhändig aus dem Palazzo befreien und in ein Krankenhaus schleppen können? Wäre sie dann noch am Leben? Aber wie hätte sie das bewerkstelligen sollen? Wo sie selbst es nicht einmal gewagt hatte, den Palazzo zu verlassen, aus lauter Angst, keinen Einlaß mehr zu bekommen.
    Sie hatte Francos Eltern nicht getraut, genausowenig, wie sie Franco traute.
    Franco … Allein der Gedanke an ihn ließ Wanda frösteln.
    War er noch in Amerika? Oder war der Einfluß der Familie de Lucca groß genug, um den Sohn aus einem amerikanischen Gefängnis herauszuholen? Wußte Franco inzwischen, daß er eine Tochter hatte und daß sie, Wanda, dieses Kind von seinen schrecklichen Eltern freigekauft hatte?
    Marie hatte Tagebuch geführt, und diese Aufzeichnungen durften den Palazzo nach Meinung der Familie de Lucca unter keinen Umständen verlassen. Sylvie im Austausch gegen Maries Wissen um die Schandtaten der Familie: Das war der Handel gewesen, auf den Wanda eingegangen war. Denn hätte sie Maries Tochter etwa in Italien zurücklassen sollen?
    Â»Du mußt Sylvie nach Lauscha bringen!« hatte Marie sie angefleht. »Meine Tochter soll unter Glasbläsern aufwachsen und nicht unter Mördern!« Ihre Augen hatten zu jener Zeit schon einen seltsamen Glanz gehabt. EinenGlanz, der Wanda erschreckte. Als ob Marie von innen her glühen würde. Kurze Zeit später hatte sie die Augen für immer geschlossen.
    Wanda handelte also nach Maries Letztem Willen. Aber was war mit dem Kindsvater? Wenn Franco von der Sache erfuhr, würde er nicht zulassen, daß sein Kind woanders als im elterlichen Palazzo aufwuchs, soviel war sicher.
    Wanda gab sich einen Ruck. Sie verlagerte Sylvie auf ihren linken Arm, dann zog sie ein zerknittertes Papier aus ihrer Tasche.
    Â»Das hier ist die italienische Geburtsurkunde meiner Tochter.«
    Stirnrunzelnd nahm der Beamte das Dokument entgegen. »Warum haben Sie mir die nicht gleich gegeben? Nicht, daß Ihnen ausländische Papiere bei uns viel nutzen würden … Aber wenn ein solches Dokument schon von den italienischen Behörden ausgestellt wurde, erleichtert das meine Arbeit natürlich erheblich. Also, was steht denn da … Geboren am 21. Mai …« Er warf erst dem Kind einen Blick zu, dann nahm er erneut Wandas Reisepaß in die Hand und blätterte ihn durch. Man konnte förmlich sehen, wie es hinter seiner Stirn ratterte.
    Johanna räusperte sich. »Sie vermuten richtig«, sagte sie mit belegter Stimme. »Meine Nichte war schon – guter Hoffnung, als sie im vergangenen Oktober bei uns eingetroffen ist. Meine Schwester Ruth hielt es für sinnvoll, ihre Tochter für unbestimmte Zeit in unsere Obhut zu geben. Wäre sie in New York geblieben, hätte dies nur für unnötiges Gerede gesorgt, Sie verstehen? Ich hab zu ihr gesagt: ›Ruth, so was kommt in den besten Familien vor, mach dir keine Sorgen!‹« Sie lachte gekünstelt.
    Wanda warf ihrer Tante einen schrägen Blick zu. Ob Johanna nicht ein bißchen zu dick auftrug?
    Die Mundwinkel des Mannes kräuselten sich mißbilligend.
    Â»Und Ihre Obhut bestand also darin, ein minderjähriges, lediges Mädchen in guter Hoffnung mutterseelenallein nach Italien reisen zu lassen? Ich habe ja schon einiges gehört, aber …« Geradezu fassungslos schaute der Beamte Johanna an.
    Die starrte wütend aus dem Fenster.
    Wanda schmunzelte heimlich. Somit wäre also nicht nur ihr Ruf ruiniert …
    Â»Amerika – damit hat sich die Frage nach dem
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