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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies
Autoren: Petra Durst-Benning
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sie in New York vergeblich gesucht hatte.
    Â»Jeder Mensch hat eine Aufgabe im Leben …« Urplötzlich fielen ihr Maries Worte wieder ein. Es war ihr Abschiedsgespräch gewesen, kurz bevor sie mit Franco Richtung Europa aufgebrochen war. Wie unzählige Male zuvor hatten sie zusammen auf dem Dach des Hochhausesgehockt, in dem das Apartment der Familie Miles lag. Wie wahrhaftig Marie damals geklungen hatte!
    Ihr Blick fiel in den Kinderwagen. Sylvie hatte die Augen weit aufgerissen und gab kleine quietschende Geräusche von sich.
    Jetzt hatte sie, Wanda, in der Tat eine Aufgabe – durch Marie. War das nicht eine grausame Ironie des Schicksals?
    Der Gedanke, künftig an Maries Stelle Mutterpflichten zu erfüllen, machte ihr ziemlich angst, auch wenn sie das Johanna gegenüber nie zugegeben hätte.
    Aber sie hatte Richard an ihrer Seite, der immer für sie dasein würde, dessen Liebe sie stark und unverwundbar machte.
    Wanda holte noch einmal tief Luft. Dann war es Zeit, den Zug zu besteigen, der sie nach Hause bringen würde.
    Nach Lauscha.

3. K APITEL
    Es war Nachmittag, als Wanda die Tür zum Haus ihres Vaters aufstieß. Aus der Küche waren Stimmen zu hören: ihr Vater, Richard, Michel, ihr Onkel. Waren die Männer für heute schon mit ihrer Arbeit fertig? Um so besser, dachte Wanda erfreut.
    Mit letzter Kraft bugsierte sie den sperrigen Kinderwagen in den Flur. Ihr Rücken war schweißnaß, das Kleid klebte unter ihren Achseln fest, verschwitzte Strähnen hingen ihr in die Stirn. Leise seufzend hob Wanda Sylvie aus dem Wagen.
    In diesem Gefährt habe schon Wanda selbst gelegen,hatte Vater ihr erzählt, als er den verstaubten Wagen aus dem Lagerschuppen holte. Und daß es damals, vor zwanzig Jahren, noch höchst ungewöhnlich gewesen sei, daß eine Frau ihr Kind im Kinderwagen durch die Gegend fuhr. Aber daß für Ruth ja immer nur die neuesten Moden gut genug gewesen wären. Und daß sie schon damals ihren Kopf durchgesetzt hätte.
    Ach, Mutter, hast du dich auf der steilen Hauptstraße vom Bahnhof bis hier oben auch so geplagt?

    Wanda wechselte zuerst Sylvies Windeln, dann machte sie sich selbst ein wenig frisch. Sehnsüchtig schaute sie auf ihr Bett. Jetzt ein Stündchen hinlegen, die Augen schließen, nichts denken müssen, keine Fragen beantworten …
    Aber unten in der Küche saß Richard, der bestimmt wissen wollte, wie es auf dem Amt gelaufen war. Richard … Der Gedanke an ihn ließ Wanda ihre Müdigkeit vergessen, und mit raschen Schritten lief sie die Treppe hinunter.
    Â»Wanda! Gerade haben wir von dir gesprochen!« rief Thomas Heimer, als sie mit Sylvie im Arm in der Tür erschien.
    Außer Richard saß auch Michel, ihr Onkel, mit am Tisch, der mit Zeichnungen übersät war. Die Sonne, die durchs Fenster ins Zimmer fiel, warf gelbe Streifen auf die Papiere.
    Â»Wir brauchen deinen Rat«, sagte Richard und bedeutete Wanda, näher zu kommen.
    Immer wenn Wanda in die Heimersche Küche trat, wunderte sie sich heimlich darüber, daß der Raum so gar nichts mehr mit der kalten, düsteren Kammer gemein hatte, die er im Winter bei ihrem ersten Besuch gewesen war. Damals war das Licht nur mühsam durch dieverschmutzten Scheiben gekrochen, und erst, nachdem Wanda ihren Vater überredet hatte, die beiden riesigen Tannen direkt vor dem Küchenfenster zu fällen, war es drinnen hell geworden. Mit dem Licht kam Leben in den Raum: Die Küche wurde zum Mittelpunkt des Hauses. Wo früher lediglich Eva mit mißmutigem Gesicht herumhantierte, traf sich nun die Familie auf ein Glas Bier oder um sich auf den neuesten Stand zu bringen, was die Geschäfte anging. Der Tisch war sauber, und das Geschirr, das neben der Spüle trocknete, war es auch. Gemeinsam mit Eva hatte Wanda einen alten Schaukelstuhl neben den Tisch gestellt – hier hatte es Wilhelm Heimer bequem, wenn er an einem seiner guten Tage sein Bett verlassen konnte. Dank der neuen Aufträge ihres Vaters war der Vorratsschrank inzwischen stets gut gefüllt – die Zeiten, in denen Eva für die Suppe an Stelle von Hühnern knochige Eichhörnchen hatte auskochen müssen, waren vorbei.
    Bei dem Gedanken daran verzog Wanda das Gesicht. Noch heute hatte sie den muffigen Geruch von damals in der Nase – widerlich!
    Â»Was heckt ihr denn wieder Neues aus? Und wo ist Eva?« fragte
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